Lieschens Antwort auf Fräulein Grete Meiers Post Nr. 58 ---> guckst du hier
Lieschen hatte sich am gestrigen Mittwoch ganz spontan
entschieden, bereits schon am Vormittag in Richtung Innenstadt zu fahren.
Hermann war selbst mit Freunden unterwegs. So fiel es ihr leicht, ohne große
Absprache von jetzt auf gleich ihre Tasche zu nehmen und loszufahren. Fürs
Kaffeetrinken war sie fünf Stunden vor der Zeit.
Sie hat sich einfach treiben lassen. Also nicht im Sinne von
schnell oder hektisch, sondern im Sinne von „ohne Plan und Ziel für die
nächsten fünf Stunden“. Schon in der Bahn begann, was später seinen Lauf nahm.
Kaum hatte sie es sich gemütlich gemacht, sprach sie ein, wohl in die Jahre
gekommener aber noch gut erhaltener, „Hippie“ an. „ Bist du das?“ Lieschen war
erstaunt. Sie kannte diesen Mann nicht. Oder zumindest glaubte sie, ihn nicht
zu kennen.
„Aber ja doch! Du bist das! Erinnerst du dich nicht? Damals. 85. Auf
Ibiza!“ Lieschen erinnerte sich nicht. Jedenfalls nicht sofort. „85 ist ja eine
Ewigkeit her. 1985! Voriges Jahrhundert!“ Sie schaute immer noch erstaunt. Erstaunt.
Aber mittlerweile auch ein wenig interessiert. Mit dem Gedanken "kann sein, dass es 85 war als
sie viele Monate auf Ibiza verbrachte", näherte sie sich ihm und auch ihrer
Vergangenheit, von der sie das Meiste vergessen hatte.
Er half ihr auf die
Sprünge. Ein paar Namen, ein paar Begebenheiten und Lieschen fand sich in
längst untergegangenen Zeiten und deren Gefühlen wieder. Frei war sie damals.
Ganz frei. Jedenfalls äußerlich. Sie dachte, die Welt stünde ihr offen und sie
könnte alles ausprobieren, tun und erreichen, was sie wollte. Alles. Schon
damals war sie kein Teenager mehr. Hatte auch da schon so manches erlebt, für das andere mehrere Leben benötigen. Aber sie war noch jung und fit und vor
allem neugierig auf alles.
Charlie hieße er heute, sagte der, der eine Art Hippie
geblieben war. Der alte Name hätte ihm nicht mehr zugesagt und außerdem sei
manches vorgefallen, was eine Namensänderung sinnvoll erscheinen ließ.
Da er Zeit hatte und Lieschen auch noch, stiegen sie aus der
Bahn aus und gingen zu Fuß in Richtung Innenstadt. „Bewegung braucht das Leben
und Bewegung brauchen wir zum Leben“, sagte er und erzählte viel von damals und
von den Jahren danach. Von drei Kindern in drei unterschiedlichen Ländern. Von
Gelegenheitsarbeiten, Wintern in Goa, Thailand und anderen warmen Ländern. Vom
Ungebundensein, vom IndenTaghineinleben, vom Jungbleiben und von Carpediem. „Don´t
stay where you don´t like it“ und „Don´t do what you don´t like” klingt jetzt
noch in Lieschens Ohren. Obwohl er damit sein Lebensmotto meinte und es wohl
kaum als Befehl an sie verstand, fasste Lieschen es so auf.
Zusammen mit den aufgetauchten Gefühlen, der Leichtigkeit
und der Freiheit von damals brachten diese Sätze Seiten in ihr zum Klingen, die
ein wenig verblasst waren.
„Remember your child!“ sagte Charlie zum Abschied, verließ
Lieschen zum zweiten Male und tanzt seit dem vermutlich weiter durch sein
Leben, so wie es ihm entspricht.
Die verbleibende Zeit bis zum Treffen mit ihrer Grete
verbrachte Lieschen gehend und sinnierend mitten in der Vergangenheit.
Am Café angekommen warf sie gleich eins der vielen Ge- und
Verbote über Bord, mit denen sie sich zunehmend im Leben strangulierte. „Vegan
ist ja schön und gut. Wenns passt.“ Dachte sie und bestellte sich eine volle
Ladung Milchprodukte. Heiße Schokolade und den „Pflaumenkuchen ihrer Großmutter“,
die es wie keine andere verstand, dem Lieschen Mut zu machen, so zu leben wie
es zu ihr passt. Nicht weil sie selbst so lebte. Sondern weil sie es nicht tat
und Lieschen sehen konnte, dass das krank macht.
Wäre Lieschen nicht so versunken gewesen, hätte sie den
Kuchen natürlich nur für sich bestellt und Grete ihre Bestellung, wie immer,
selbst überlassen. Für das Problem, das sie der Grete dadurch verursachte, hätte
die Liese sich am frühen Morgen noch verurteilt. Doch inmitten der Freiheit,
die Charlie ihr zurückgebracht hatte, lachte sie mit ihrer Grete über deren „Eiern“
um das Wörtchen NEIN und das anschließende Nichtausführen desselben.
„Das wird schon“ sagte die Liese zur Grete während sie ihr
den gesamten Mittwochnachmittag von „damals“ erzählte, das ihr immer fühlbarer
wie „heute“ erschien. Jedenfalls für den Moment.
Grete und Lieschen als kostenloses E-Book - die ersten 50 Kapitel:
„Bewegung braucht das leben und wir brauchen Bewegung zum Leben“ – Das ist ja nicht der schlechteste Ansatz, um Leben und was es ausmacht zu definieren.
AntwortenLöschenIch erinnere auch noch längst vergangene Zeiten, als ich dachte (und mit mir viele andere junge Leute), ich könne alles bewegen und gleichzeitig frei sein – nicht nur in meinen Gedanken, sondern auch im Handeln.
Oft sind es diese kleinen Momente und Begegnungen, die uns hineinkatapultieren in diese Vergangenheit.
Alles scheint so fern, vor allem dieses unbeschreibliche Gefühl der Freiheit.
Doch dann ist es plötzlich wieder da – so wie bei Lieschen.
Warum nicht dann den Moment auskosten und diesem Gefühl nachspüren, nachgehen?
Ich habe mal eine zeit in einer kleinen Dachwohnung in Paris gelebt, habe Katzen gehütet und bin auf den Dächern herumgeturnt.
Kein Geld, alles beengt und einfach.
Nie habe ich mich freier gefühlt. Ganz bewusst hole ich mir manchmal dieses Gefühl zurück und mache dann auch (für andere) verrückte Dinge. So scheint ein momentanes Gefühl ein wenig Ewigkeitscharakter zu bekommen.
Manchmal sieht man auch bei anderen, was falsch läuft und kann es für sich selber aber nicht umsetzen. Wird mit dem Älterwerden auch das Bedürfnis nach Sicherheit immer stärker? Umso stärker, je mehr wir es eigentlich haben?
Ich könnte jetzt noch weiter philosophieren und sinnieren. Lieschen hat mal wieder einen prima Anstoß dazu gegeben.
Eigentlich führt ja der Bogen von der „Freiheit“ direkt zum Ende. Freiheit, die wir meinen – sie kann sich auch und gerade im Nein-Sagen zeigen – zu anderen und damit im Ja-Sagen zu sich selber.
Ich habe diesen Beitrag wie immer sehr gern gelesen und ein wenig gehe ich jetzt in meiner Vergangenheit spazieren – für ein kleines Weilchen.
Lieben Dank und Grüße
Enya
Hallo Lieschen,
AntwortenLöschenich bin skeptisch, ob all die Gelegenheitsarbeiten, Wintern in Goa, Thailand usw. der Weisheit letzter Schluss ist. Freiheit ja, aber ich brauche wiederum ein Stück Sicherheit, die wiederum einschränkt. Vor allem brauche ich ein regelmäßiges festes Einkommen, um über die Runden zu kommen. Es ist ein Spagat mit der Freiheit, mit all den Restriktionen und Rahmenbedingungen ein Stück Freiheit zu behaupten. Bis heute Hippie zu bleiben, das kommt mir etwas zu versponnen vor ...
Gruß Dieter
Wer kennt das nicht, man wir von Fremden angesprochen und weiß nichts mehr. Manchmal kommt die Erinnerung so wie beim Lieschen und sie scheint auch schön zu sein, die Zeit damals 1985 als man jung und frei war. Mir gefallen diese Denkanstöße immer sehr, Gleich spaziert man in die eigene Vergangenheit, meine ist eher nächtern und nicht ibizamäßig aber trotzdem waren es schöne Zeiten, als die Cordhosen Schlag hatten und die Miniröcke aufkamen auch an Hotpants kann ich mich gut erinnern, die kommen im Moment wieder. Schon schweife ich auch zurück. Meine Güte lang lang ist es her und manchmal wird man dadurch ein wenig genügsamer und das ist auch gut so.
AntwortenLöschenWieder einmal ein schöner Beitrag an einem noch schöneren sonnigen Freitag LG Geli
Lieschen, wir alle haben mal ein Treffen mit der Vergangenheit. Ob es uns gefällt oder auch nicht. Damals - das war eine zeit, die du hinter dir gelassen hast und an die du gern zurückdenken kannst. Du hast dir ein neues Leben aufgebaut, und wenn ich es mir recht überlege, wäre so ein Leben, wie Charlie es hinter sich hat, nichts für dich gewesen- zumindest nicht auf Dauer.
AntwortenLöschenKakao und Pflaumenkuchen haben der Seele gutgetan und für einen entspannten Nachmittag mit Grete gesorgt.
Einen guten Start ins Wochenende wünscht Dir
Irmi