Das Lieschen kann auch kein Italienisch. Aber das macht ihr
nichts aus. Jedenfalls heute nicht. Denn heute hat sie kein
Mitteilungsbedürfnis. In keiner Sprache. Sie wüsste nicht, was sie erzählen
sollte. Heute kann sie sich mal wieder gar nicht vorstellen, was andere interessieren
könnte. „Das macht doch alles keinen Sinn“ sagt sie zu Hermann, der gemütlich
am Küchentisch sitzt, seine Abendbrote isst und Politikerstatements zu
bevorstehenden, oder eben aus vielen Gründen nicht bevorstehenden, Sondierungen
studiert. Er guckt kurz hoch, betrachtet das Lieschen, guckt schnell wieder auf
den Laptop, fragt „was?“ und scrollt weiter mit der Mouse.
„Genau“ sagt die Liese und geht wieder in ihr Zimmer. Dort
hatte sie schon das gesamte Wochenende verbracht. Ganz in Gedanken. Über sich
selbst, den „Mensch an sich“ und das, was Menschen so über sich preisgeben. Sie
hat neben manch kreativen Dingen, die ihr Freude machen auch mehrfach ihre
Facebookstartseite besucht und in verschiedenen Blogs gelesen.
Alle teilen irgendetwas mit. Was sie gestern getan haben,
was sie für morgen planen, wer auf sie aufmerksam geworden ist oder auf sie aufmerksam werden soll. Sie erläutern
ihre Meinungen oder mindestens die, von denen sie annehmen, dass sie keine
Shitstorms auslösen. Oder beteiligen sich an Shitstorms. Das heißt, so musste
das Lieschen in den letzten Monaten lernen, dass sie mit lauten unflätigen,
beleidigenden Worten der virtuellen Welt erklären, dass ihnen das, was der
Adressat ihrer Worte tat oder zu tun gedenkt oder was auch immer, nicht passt. Also nicht persönlich. Nicht in Jogginghose Aug in Aug. Nein. Virtuell.
Im Klartext heißt das: Pixel erklären mithilfe von Pixeln anderen Pixeln
irgendwas. Wahr ist das nicht. Oder doch?
Lieschen geht noch einmal zu Hermann in die Küche und sagt „sind
doch nur Pixel, oder?“ Hermann schaut wieder kurz hoch, fragt „was?“ und noch
bevor er den Kopf wieder senken kann, sagt sie „alles, was du da so liest oder
im Fernsehen guckst“. Hermann ist jetzt nicht nur ein bisschen genervt durch
die Störung sondern auch ein wenig neugierig. Was ihn zu einer weiteren Frage
bringt. „Was, um Himmels Willen meinst du?“ „Naja. All die Leute, all die
Politiker, all die Journalisten, deren Meinungen und Statements du hier zu dir
nimmst, sind doch nur Pixel im Falle vom Internet und Wellen oder so im Falle
des Fernsehens. Oder etwa nicht?“ Spätestens jetzt glaubt Hermann, Lieschen stört
nicht nur sein Abendritual, sondern ist auch gestört. Noch ein bisschen
gestörter als sonst.
Diese Schublade kennt Lieschen, fühlt sich ganz wohl darin
und fragt ungestört weiter. „Die sind doch nicht echt, oder? Hast du
irgendjemanden von denen schon mal persönlich gesehen?“ Hermann sagt „Nein, hab
ich nicht“ und wendet sich wieder seinem Computer zu.
So kommt die Liese nicht weiter. Also wird sie konkreter und
fragt ungeachtet des Desinteresses ihres Hermanns an einem Gespräch: „Was zum
Beispiel denkst du über den Shitstorm, den Herr Berlusconi auf Facebook erlebt
hat?“ Hermann stöhnt und sagt „Facebook? Facebook ist Mist!“ Das findet das
Lieschen mittlerweile auch. Bringt sie aber nicht weiter.
Sie muss einen Text
als Antwort auf Gretes Tagesbericht schreiben. Und sie will um Himmels Willen
nichts schreiben, was keine Bereicherung für die Lesenden ist. Davon wimmelt es
ja im Internet und im Fernsehen. Von Mitteilungen, die niemanden interessieren,
die nicht von Bedeutung sind, oft nicht einmal der Wahrheit entsprechen und vor allem keine Bereicherung sind. Geschrieben oder gesprochen von Pixeln oder Wellen. Je
nachdem.
Lieschen hat keine Lust, sich darzustellen wie Herr Bohlen
oder all die supertalentierten Menschen, die mal „im Fääärnseeeen“ wollen. Lieschen
hat überhaupt kein Mitteilungs- oder Darstellungsbedürfnis. Hermann sagt, das
hätte er auch nicht. Das könnte sie aber bereits an seiner abweisenden Art
bemerkt haben. Er hätte ihr das schließlich Live gezeigt.
Lieschen nickt und
sagt„Ich hab nix zu sagen und will mit diesem nix nicht der
Anlass für die Zeitverschwendung anderer Menschen sein, auch wenn ich die nicht
kenne, weil sie nur Pixel sind.“ Als Hermann sagt „dann lass es doch und sag
auch nix“, beschließt das Lieschen seinem Rat zu folgen und heute mal nichts
auf Gretes Tagesbericht zu antworten.
Grete und Lieschen als kostenloses E-Book - die ersten 50 Kapitel:
Facebook, wer den Umgang beherrscht kann eine Menge Spaß haben, aber viele haben das bisher nicht gemerkt und posten alles was sie bewegt. Ich mag facebook, aber ich merke auch, dass es mich irgendwie beherrscht, was ich nicht will. Lieben Gruß bin ein wenig wortlos heute, vielleicht liegt es am Wetter. Geli
AntwortenLöschenLieschen, dafür, dass du nichts zu sagen hast, war es aber doch eine ganze Menge. Ich bin nicht bei Facebook und möchte es auch nicht sein.
AntwortenLöschenOder ist das etwa eine Bildungslücke?
Einen guten Start in die neue Woche wünscht Dir
Irmi
Hallo Brigitta,
AntwortenLöschenich bin bei Facebook. Eigentlich aber nur deswegen, weil ich zusätzliche Kontaktmöglichkeiten habe (z.B. Verabredung zu Rennradtouren). In Facebook steht mir zuviel Schrott, was so gepostet wird. Es gibt zwar auch diverse Blogs, in denen Schrott steht. Qualitativ ist das unterm Strich immer noch besser als Facebook. Shitstorm scheint mir mehr ein Modewort zu sein, dass die normalen Regeln für eine persönliche Kommunikation im Netz offensichtlich nicht gelten.
Gruß Dieter
Manchmal mag oder kann man sich einfach nicht mitteilen, im richtigen Leben und erst recht in der virtuellen Welt – obwohl das mitteilen da einfacher scheint, wenn man sieht, was da so alles kundgetan wird.
AntwortenLöschenLieschen möchte nur erzählen, was andere interessiert oder sie zumindest bereichert.
Die Frage ist: Wen soll es interessieren oder bereichern? Alle?
Nee, das geht natürlich nicht. Aber zumindest einige, oder?.
Ich staune immer wieder, wie locker sich andere in FB oder anderswo mitteilen und komisch – gerade an diesem Wochenende hatte ich die gleichen Gedanken wie Lieschen.
Mein Mitteilungsbedürfnis war auf dem Nullpunkt.
Dann habe ich mich aber doch mit einer Freundin darüber ausgetauscht und ihr gerade dieses mitgeteilt. Das war gut, denn so konnte ich mich in meinem Nicht-Mitteilungsbedürfnis sicher fühlen.
Alles hat seine Zeit und es kommt auch auf die Erwartungen und den Anspruch an, den man hat.
Bis zu den Pixeln bin ich noch nicht durchgedrungen. Ich war bei den Buchstaben, die sich zu irgendwelchen Worten formen, die zuweilen bedeutungslos scheinen. Eine Aneinanderreihung von kleinsten sprachlichen Einheiten.
Mit Wahrheit hat das oft nichts zu tun und jeder macht sich doch durch seine Sichtweise eine eigene Wahrheit.
Ist also FB Mist? Ja/Nein/Vielleicht...würde ich sagen und mir so alle Optionen offen halten.
Ich wollte schon oft verschwinden, da und auch woanders. Ich kenne mich aber, ich würde evt. doch wieder kommen und dann wäre das Verschwinden doch eine absurde Aktion.
Lieschen, ich kann dir nur sagen, du hast viel bereicherndes mitzuteilen, auch jetzt wieder.
Denn dein Bedürfnis, dich nicht mitzuteilen, ist anregend genug.
Toleranz und Akzeptanz sind hier mal wieder gefragt.
Ich finde, man darf sich auch in Schweigen hüllen. Auch dieses teilt etwas mit.
Lieben Gruß
Enya