„Entschleunigt bin ich ja“ denkt das Lieschen, das gerade Gretes
Entschleunigungsversuchsbericht gelesen hat „äußerlich. Äußerlich bestimmt.“
Lieschen findet vieles, was sie an Aktivitäten ihrer Mitmenschen beobachtet,
völlig überflüssig. Sie telefoniert noch mit einem alten Handy, das überhaupt
nicht „smart“ ist, sie verlässt das Haus nicht, weil sie unbedingt noch vor
Geschäftschließung irgendetwas UNBEDINGT braucht und sie hat gelernt, sich
nicht über ihre Taten zu definieren. Jedenfalls äußerlich. Wie gesagt.
Innerlich sieht das
manchmal ganz anders aus. Es gibt Tage an denen rattern die Gedanken in
Lieschens Kopf so schnell wie die Kommentare unter der Facebookstatusmeldung
eines Prominenten Fernsehgesichts, das aus den inhaltsschweren Worten „Ich hab
Euch alle lieb“ besteht und mit „wir dich auch“, „ich dich auch“ und „halt die
Fresse“ im Sekundentakt beantwortet wird. Nicht unbedingt von allen 700.000
Fans, aber im Normalfall doch von vielen Tausend in den ersten Minuten.
Der
Wortlaut von Lieschens Gedanken unterscheidet sich meistens vom Inhalt der
meisten Facebookkommentare, die sie kennt. Die Frequenz ist aber die gleiche.
Speziell dann, wenn die Liese einfach völlig ruhig und entschleunigt rumsitzen
will und es auch tut.
„Du solltest aber
doch““, „andere machen das doch auch“, „was soll denn xy von dir halten?“, „was
sag ich nur, wenn ich nach meinem Beruf gefragt werde?“, „kann ich die schwarze
Jacke wirklich zu dem gelben Kleid tragen?“ „sollte ich nicht doch noch los und
nach einer Gelben suchen?“ „ach du meine Güte, das ganze Laub auf dem Weg,
nicht dass jemand stürzt, falls es regnet“, „die Tür müsste unbedingt geputzt
werden“, „wer um Gottes Willen hat weiße Eingangstüren für Häuser an
vielbefahrenen Straßen ausgesucht?“, „ der Kleiderschrank müsste auch mal wieder
aussortiert werden“, „ wie die Grete wohl mit dem neuen Auto zurecht kommt?“, „ob
sie schon einmal, wenigstens, Probegefahren ist?“, „ob ich sie mal anrufe?“, „nein,
habe ich gestern schon getan und morgen sehen wir uns ja“, „was ziehe ich bloß
an, morgen?“, „ob ich mal nach dem Wetterbericht google?“, „hoffentlich hat sie
im neuen Auto endlich ein Navi“, „naja wird schon werden“, „Mist, die dicke
Jacke ist der Wäsche“, „ob ich doch schnell noch wasche?“, „naja für die paar
Teile lohnt sich ja keine ganze Maschine“, „ziehe ich halt die etwas dünnere an“,
„können wir gleich die Heizung im neuen Auto testen“, „ach du meine Güte! Ich muss
die Emails von gestern noch beantworten“, „nicht jetzt“, „doch, sonst vergisst
du es wieder“, „siehste, du hattest dir doch vorgenommen, alles immer sofort zu
tun“, „niemals hälst du dich an deine eigenen Vorgaben“, „aber von anderen
verlangst du sofortige Antworten“, „naja, die anderen sind ja auch nicht besser“,
„wenn die mich lange warten lassen, kann ich das auch“, „ob die bei der NSA
auch wissen, dass mir manche Emails nicht beantwortet werden?“, „ob die das
interessiert?“, „wie sieht wohl mein Profil bei denen aus?“, „wissen die, das
ich genügsam bin und geben mir nach dem Zusammenbruch des Geldsystems weniger
Essensmarken als den anderen?“, „ob wir doch noch Vorräte anlegen sollten?“, „wird
wohl noch dauern“, „ach du meine Güte, die Uhr schlägt 12, dann muss ich gleich
kochen“, „erst geh ich aber eine rauchen“, „ich warte noch nen Moment“, „sonst
kommt die gehetzte Nachbarin gerade von der Arbeit und sieht mich da sitzen“,
die guckt eh schon immer so komisch“, „nicht das die denkt, ich täte den ganzen
Tag nix“, „soll sie doch, ist doch egal“, „ne“, „naja“, „doch“ „die Blumen
müssten auch wieder gegossen werden“, „ich brauche eine ToDo-liste“, „so eine
wie all die erfolgreichen Leute, die es wirklich zu was gebracht haben, haben“, „haha,
zu Kondensstreifen, oder was? …
Und das ist nur das mögliche Protokoll von Lieschens
möglichen Gedanken innerhalb der ersten Millisekunden eines möglichen völlig
entschleunigten Rumsitzens. Manchmal klappt es aber auch, dass sie dem
Feuerwerk in ihrem Kopf nach kurzer Zeit die Aufmerksamkeit entzieht. Und ohne
Aufmerksamkeit fühlen sich die Gedanken beim Lieschen offensichtlich nicht
besonders wohl. Dann sitzt sie da und IST einfach still. Nicht schnell, nicht
langsam und nicht geschwätzig. Auch nicht im Kopf. Das mag sie. Wenn das
gelingt, ist sie froh und voll Elan für das, was dann kommt. Egal, ob es
sich um Beschleunigtes oder Entschleunigtes handelt. Egal ob laut oder leise.
Ohne die Hetzte, die die Gedanken verursachen lebt sie ganz gut, die Liese.
Auch inmitten dieses Höherschnellerweiter, dem sie sich dann leicht entziehen
kann. Einfach weil es keine Bedeutung für sie hat.
Ob die Grete ihre Faulheit genossen hat und wie es währenddessen
in ihrem Kopf ausgesehen hat, interessiert das Lieschen aber schon noch. Sie
wird sie doch anrufen. Sofort. In dem Moment, in dem sie diesen Gedanken
wahrnimmt, steht sie schon am Telefon, das bei ihr ja noch mit der
Wand verbunden ist, klickt auf Gretes Nummer, hört das Wählgeräusch, bald darauf
Gretes Stimme und fragt sie. Ganz einfach.
Grete und Lieschen als kostenloses E-Book - die ersten 50 Kapitel:
Guten Morgen
AntwortenLöschenund herzlichen Glückwunsch :-)
Vielleicht hilft Dir Dein Losgewinn bei bikelovin ja bei der Entschleunigung?!
liebe Grüße, Petra
O-O
AntwortenLöschenich erkenne sehr viel ähnlichkeit mit grete und mir ;-))
LG zum WE
Viele Menschen richten sich nach anderen. Die Meinung ist ihnen wichtig und sie stellen ihre eigene Meinung hinten an. Wenn man nicht mittrottet gehört man dem Kreis der Vertrauten nicht an. Ich wehre mich dagegen, bin aber inzwischen müde geworden.
AntwortenLöschenSchön, wenn man eine Freundin hat, die man sofort anrufen kann Gruß Geli
Das klingt ja schon mal positiv, dass Lieschen sich zumindest äußerlich entschleunigt fühlt, dies auch umsetzen kann, sich nicht hinreißen lässt zu einem Aktivismus, der heute anscheinend dazugehört.
AntwortenLöschenSich "nicht über seine Taten definieren" - das scheint mir ein Schlüsselsatz zu sein, dessen Gegenteil sich viele heute auf die Fahne geschrieben haben. Alles scheint zweckbestimmt. Wo bleibt man da selbst? Wo die Muße, sich Dingen zu widmen, die schön sind, gut, ja, die einfach sind um ihrer selbst Willen?
Ist es oft nicht auch eine Leere, die unser Leben ausfüllt (scheint paradox), die uns hindert, langsamer zu gehen?
Langeweile - das hat einen absolut negativen Touch, dabei kann sie so wohltuend sein.
Dass es so schwer gelingt, auch die Gedanken zu entschleunigen, ja zuweilen abzustellen, mag daran liegen, dass wir uns nicht mehr gewohnt spüren, wenn wir versuchen, nicht zu denken.
Still sein, das muss man erst einmal aushalten können.
Entschleunigen, das bedeutet ja, Gas rausnehmen, äußerlich wie innerlich, weniger vorwärtsstreben, aber es heißt ja nicht Stillstand.
Innehalten - so wichtig, um neue Kraft zu schöpfen für sein (entschleunigtes) Tun.
Die alten Griechen schienen mir weise: Sie sahen nicht im Aktivismus ihr Lebensziel, sondern jede Tätigkeit sollte am Ende dem friedvollen, auch untätigen Miteinander dienen.
Lieschen ist auf einem guten Weg. Ich bin innerlich noch lange nicht so weit,denn meine Gedanken rasen meist im Affentempo und das umso mehr,je stärker ich äußerlich langsam trete. Aber ich versuche es.
Ein schönes entschleunigtes Wochenende, äußerlich wie innerlich
wünscht Enya.
Lieschen, jetzt ist es aber richtig,
AntwortenLöschenich habe versucht, deinen Gedankengängen zu folgen und habe
mich in dir wiedergesehen. Solche Gedanken beherrschen mich
oftmals auch und dann sage ich: Ich bin ich - und ich mach es so,
wie es mir gefällt.
Einen schönen Abend wünscht dir
Irmi
Hallo Brigitta,
AntwortenLöschendas ist für mich eine gewisse Arbeit, Kommentare oder auch Facebook-Kommentare. Ich sehe auch den Riesen-Unterschied, dass die Werthaltigkeit der Kommentare in Facebook tendenziell niedriger ist als auf der Blog-Seite. Entschleunigung ist für mich die gesamte Bloggerei, da dies jenseits von Zeit und Raum liegt.
Gruß Dieter
p.S.: da ich Dich in Facebook entdeckt habe, werde ich Dir eine Freundschaftsanfrage senden (Dieter Wimmers alias rheinland-blogger)