Lieschen weiß nicht, was sie heute täte, wenn sie jung und
ohne Ausbildung wäre. Die Zeiten sind anders als damals. Die Menschen sind
anders als damals. Und auch die allgemeine Vergangenheit und Zukunft aus
heutiger Sicht erscheinen ihr weniger rosig als damals.
Lieschen selbst hat in Zeiten des Aufbaus das Licht und
Dunkel dieser Welt erblickt. Sie wurde auf dem Küchentisch gewickelt, der von
Erspartem gekauft war, teilte lange das Bett mit ihren Eltern und wartete
gemeinsam mit ihnen auf den Tag, an dem sich
das Geld für die Waschmaschine in Kleinstbeträgen angehäuft hatte, sie gekauft
werden konnte und das echte Kochen der Wäsche im Keller endlich ein Ende hatte.
Sie trank den Fleiß und die Zuversicht mit der Muttermilch, die sie nicht
abgepumpt sondern direkt an der Bar bekam und auch in der Schule vermittelte
man ihr den Eindruck, dass sich konsequentes Lernen eines Tages auszahlen werde.
Ihre Eltern wollten, wie viele Menschen dieser Generation,
die als Kinder noch den Krieg erlebt haben und in zerbombten Städten groß
wurden, dass sie es einmal besser haben
sollte.
So ermöglichten sie ihr eine lange Schul- und Ausbildungszeit. Mit dem
Abitur hätte sie sogar studieren können. Damals noch in Ruhe und mit der sehr
wahrscheinlichen Aussicht auf Anstellung danach.
Doch die Liese hat eine Ausbildung gemacht. Das hat ihr
nicht gefallen, doch es war leicht, eine Lehrstelle zu bekommen. Sie hatte
mehrere zur Auswahl. Die Gewählte hat sie aufgrund ihrer Erziehung natürlich die
erforderlichen zweieinhalb Jahre durchgehalten. Sie hatte Vorbilder, die
fleißig waren und ihr musste nicht erklärt werden, dass man, nicht nur wegen
des Geldes, aber auch dafür, arbeiten muss. Das hat sie damals nicht in Frage
gestellt. Und zu ihrer Zeit, vor viel mehr als dreißig Jahren, wurden fast alle
Azubis, wie sie damals hießen, auch übernommen.
Heutzutage ist das alles anders. Lieschen beobachtet das im
Grunde mit Argwohn und ist froh, dass sie weder Kinder noch Enkelkinder durch
diese Zeiten in ihr selbständiges Leben begleiten muss.
Sie hat Mitgefühl mit den Schülern von heute, die in einer
Welt des Überflusses, den man leicht auf Kredit bekommt und sich selbstverständlich
auch auf Kredit „holt“, aufwachsen. Sie kennt nicht viele Schüler, denen in der
Schule Mut gemacht werden kann, dass es für sie danach gut weitergeht. Sie weiß
von einigen Kindern und Jugendlichen, die in ihrer Verwandtschaft keine
berufstätigen Menschen mehr haben und in der Gewissheit aufwachsen, dass sie
von Beruf natürlich ebenfalls Hartz IV werden. Wer will ihnen das verübeln?
Denkt die Liese.
Wenn ein solcher Jugendlicher dann Kevin heißt und vom Arbeitsamt zu Gretes
Herrn Heber in die Firma geschickt wird, muss er natürlich außer der dort
verlangten speziellen Tätigkeit noch ganz andere Dinge lernen. Von der Pieke
auf. Er wird vielleicht vom grundsätzlichen Wert von Arbeit nichts wissen. Er
wird vielleicht keine wirkliche Kenntnis über den Zusammenhang von Arbeit, Geld
und Konsum haben und er wird möglicherweise nicht arbeiten können, weil es ihm
noch niemand vorgemacht hat, seine Muttermilch Hartz IV transportierte und seine
Tage nicht regelmäßig strukturiert wurden.
In Herrn Hebers Haut möchte die Liese aber auch nicht
stecken. Er, der offensichtlich einen anderen Hintergrund hat, braucht einfach
verlässliche Kollegen, die ihn im Übermaß der anfallenden Arbeiten entlasten.
Und doch könnte gerade er ein wunderbares Vorbild für den vom Amt geschickten Kevin
sein, der doch so dermaßen viel zu lernen hat.
Lieschen wird die Grete gleich anrufen und sie ermutigen,
Herrn Heber zu ermutigen, dem Kevin eine Chance zu geben und ihm das Vorbild zu
sein, dass er braucht. Vielleicht können die Grete und die Liese ja im Gegenzug
die Hebers mit dem kleinen Kind ein bisschen entlasten. Erholung muss ja auch
sein.
Ich finde es schön, dass das Lieschen die Grete ermuntern wird, ihr Vorhaben umzusetzen, da bin ich doch ganz bei den beiden.
AntwortenLöschenLiebe Abendgrüße
Regina
Ja, Regina, das finde ich auch schön.
AntwortenLöschenHerzlichen Dank für deine Zustimmung und überhaupt fürs Lesen!
lieben Gruß
Brigitta
Wir neigen dazu, die alten Zeiten zu loben und das Neue manchmal zu verteufeln. Ich höre mich schon wie meine Oma an.... Gute Gedanken die ich aber gewöhnt bin. Kevin wird es schaffen.
AntwortenLöschenLieschen, ich glaube du und Grete seid ein unschlagbares Paar.
AntwortenLöschenIch wwerde euch begleiten. ls Verfolgerin habe ich mich schon mal eingetragen.
Einen schönen Abend wünscht Dir
Irmi
Hallo Geli, stimmt, das ist eine weit verbreitete Neigung. Allerdings hat es das Lieschen sooo wohl nicht gemeint. Vermute ich :-)))
AntwortenLöschenIch denke hier überwog das Mitgefühl mit den heutigen jungen Leuten. Was aber natürlich auch wieder die eigenen Vorteile hat. Ist halt anders.
Ich bin ja selbst immer wieder erstaunt, was die Liese so erzählt ... (echt wahr) ... :-)))
Danke, du Treue, du!
lieben Gruß
Brigitta
Hallo liebe Irmtraud,
AntwortenLöschendas ist ja Klasse! Herzlich Willkommen!
Ich habe nun auch den Neckarstrand gefunden. Scheint sehr schön dort zu sein. Ich bin gespannt.
lieben Gruß
Brigitta