Samstag, 3. August 2013

Lieschen hat fast keine Rituale

Lieschen hat ja, ganz anders als ihre Freundin Fräulein Grete, gar keine Rituale. Naja, fast keine, so gut wie keine, naja, ein einziges Ritual, das hat sie.

Das Rauchen. Das ist natürlich auch bei unserer Liese komplett durchritualisiert. Wenn sie rauchen möchte, und sie betont das „möchte“ obwohl sie selbstverständlich weiß, dass das schon sehr lange keine freiwillige Sache mehr ist. Wenn sie also rauchen möchte, dann geht sie als erstes auf die Terrasse. Setzt sich auf ihre Bank, greift nach dem Tabakpäckchen, entnimmt ihm das Briefchen mit den Blättchen, pustet eins heraus, fischt nach dem Tabak und dreht sich in aller Ruhe eine Zigarette. Wenn sie dann raucht, dann raucht sie. Sie tut nichts anderes. Naja. Fast nichts anderes. Sie betrachtet den Rasen, die Pflanzen, die Bienchen und Blüten, aber vor allem raucht sie. Sie will dann keine Störung. Nicht mal von ihren eigenen Gedanken.

Das weiß auch der Hermann. Wenn die Liese auf ihrer Bank auf der Terrasse sitzt und raucht, dann macht er einen großen Bogen um sie. Er will sie ja nicht stören. Nicht weil er sie nicht stören will, sondern weil er nicht will, dass sie zischt und mit der Hand wedelt als sei er eine Fliege, die vor Lieschens Gesicht fliegt und damit aufhören soll. Hermann will keine Fliege sein. Verständlich.

So raucht unser Lieschen immer. Außer mittwochs. Beim Kaffee mit der Grete. Dann merkt sie nichts vom Drehen und auch nichts vom Rauchen. Dann quatschen die beiden völlig unritualisiert, jeden Mittwoch aufs Neue, über Gott und die Welt und die Finger drehen, feuern und führen die Zigarette ganz von selbst an den Mund. Wenn sie dann abends nach Hause kommt, ist ihr erster Gang auf ihre Terrassenbank, auf der das Ritual schon auf sie wartet.

Das ist aber wirklich das einzige Ritual in Lieschens Leben. Auf die Idee, das Putzen zu ritualisieren ist sie noch nie gekommen. Sie putzt, wenn sie es an der Zeit findet und Lust auf „Gründlich“ hat. Das ist heutzutage oft später als früher. Oder sie putzt, wenn sich Besuch angesagt hat. Dann oberflächlich. Dem Lieschen ist das nicht mehr so wichtig. Der Hermann und sie haben schon während der Renovierung des Hauses, wenn ihnen irgendetwas nicht perfekt gelungen ist, gesagt „die meisten Menschen, die uns besuchen kommen, haben ja eh `unser´ Alter, also sehen die ebenfalls nicht mehr so gut. Nehmen wir ihnen an der Tür die Brillen ab und schon machen kleine `Unreinheiten´ rein gar nichts mehr.“

Hermann findet sowieso schon immer, dass es reicht, wenn das Lieschen und er sich wohl fühlen in den eigenen vier Wänden und die Liese hat mit den Jahren sehr gut gelernt, nicht nur manchmal alle Fünfe grade sein zu lassen. Atmosphäre ist das Wichtigste, sagt sie oft und vom Boden essen ja in unseren Breitengraden sowieso die Wenigsten. Sollte einmal jemand kommen, der das möchte und der Boden lässt an Reinheit zu wünschen übrig, dann wird sie extra für diesen Gast, in seinem Beisein, das erforderliche Stückchen Boden reinigen. Da kennt die Liese nix.


Dass die Grete sie nachher anrufen wird, weil ja Samstag ist und sie das beinahe jeden Samstagabend tut, möchte das Lieschen nicht als Ritual werten. Es ist ja nicht sie, die anruft. Sie nimmt ja nur das Telefon von der Station. Und DAS tut sie natürlich nicht aus Gründen der eingebrannten Ritualisierung, sondern weil es klingelt. Ja!




4 Kommentare:

  1. Jawoll Lieschen...man soll sich wohlfühlen in den eigenen vier Wänden, geputzt oder ungeputzt. Wenn man sich nicht wohlfühlt, machen auch die Rituale keinen Sinn - diese übrigens sind wichtig, manchmal merken wir gar nicht, wie sehr wir an ihnen hängen. Sie geben unserem Leben Beständigkeit bei all dem Auf und Ab....
    Über das Rauchen als Ritual mag man geteilter Meinung sein (ich pflege es auf dem Balkon), über ein Putzritual auch (ich pflege es nicht). Wichtig scheint mir, dass Lieschen sich Gedanken darüber macht, dieses kleine Ritual sehr bewusst einbettet in ihr Leben.

    Noch schöner der "ritualisierte" Mittwoch mit Grete.
    Mögen die beiden an diesem Ritual noch lange festhalten.

    lg
    Enya

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  2. Ja, liebe Enya, finde ich persönlich auch ... Rituale geben Ruhe ... mein Verdacht ist ja eh, dass das Lieschen da was vorlügt ... :-))) Danke!

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  3. Ja, so ist es mit den Ritualen. Sie geben Halt, wobei der Halt von Tabakwaren bzw. jeglichen Drogen eher trügerisch ist.

    Die Tasse Kaffee am Morgen, egal bei welchem Wetter. Ist es zu heiß, spinnt gern mal der Kreislauf, aber wat mutt datt mutt. Ist ja Ritual, ist ja so üblich.

    Und wenn aus irgendwelchem Grund dieser Kreislauf unterbrochen wird, dann steht plötzlich die eigene Welt kopf, es fehlt etwas, und manchmal denkt man dann, die Welt geht nun unter. Doch sie dreht sich weiter, so oder so. Ob mit oder ohne Rituale.

    Ich hätte gute Lust, mit in Euren Reigen einzustimmen und Ella Tinka Damenbarth das Wort zu erteilen.

    Wäre bestimmt eine Gaudi.

    lg Sina

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  4. Hallo Sina,

    vielen Dank für dein Interesse und die Auseinandersetzung mit dem gestrigen Grete/Lieschen-Thema. :-)))

    Ja. Die Welt dreht sich immer weiter ... egal, was wir tun oder lassen ... Gottseidank! :-)))

    Ella Tinka Damenbarth ist ja ein cooler Name.

    Dieses Projekt ist mit den beiden "Personen Liese und Grete" bereits ausgelastet.
    Vielleicht schreibst du einfach just for fun außerhalb dieses Projektes in einem eigenen Blog als Frau Damenbarth ...

    lieben Gruß
    Brigitta

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Herzlichen Dank für Euer Interesse und die den Blog so sehr bereichernden Kommentare!
Beides ist sowohl der Liese als auch mir eine große Freude! :-)))