Auf den Link zum LadyGagaVideoAuszug hat der Hermann auch
geklickt. Genau wie die Grete. Wie könnte sie sonst von den kleinen Brüsten
wissen? „Guck mal“ hat er zum Lieschen gesagt „guck mal. Wenn DAS meine Tochter
wäre! Die würd´ ich verhauen!“ Liese wundert sich, geht um den Tisch und guckt
in Hermanns Computerbildschirm. Sie sieht eine schlanke nackte Frau mitten im
Wald und auch auf Fliesen. Aha, denkt sie. Verhauen. Hermann hat gar keine
Tochter und wenn er eine hätte wäre sie vermutlich ähnlich alt wie sein Sohn.
Und der ist älter und würde so was nicht tun. Nicht mal für die Kunst. Glaubt
zumindest die Liese, auch wenn sie ihn kaum kennt. Er lebt ja am anderen Ende
der Welt und sie ist ja nicht die Mutter.
Die Dame names Gaga macht das nämlich für die Kunst, erklärt
ihr nicht der Hermann, aber der Artikel unter dem Video. Jedenfalls sagt sie
das. Doch der Schreiber des Artikels bezweifelt diese Motivation. Er vermutet,
sie will einer Freundin Publicity verschaffen. Vielleicht hat er nicht dieses
antiquierte Wort verwendet, aber um Aufmerksamkeit für irgendein Projekt ging
es und sie selbst bringt demnächst eine Platte raus. Sagt man das noch so? Nein. Vermutlich nicht. Also eine CD von der Lady Gaga kommt auf den Markt und
das soll die Welt erfahren. Das hat sie ja nun. Hat geklappt.
Ob der Hermann denn nicht wollte, dass seine Tochter, wenn
er eine hätte und sie ein Produkt zu bewerben hätte, damit erfolgreich wäre,
fragt das Lieschen ihren Angetrauten. „Aber ja doch. Erfolgreich sollte sie
sein. Aber doch nicht mit SOLCHEN Mitteln!“ Das könne er nicht gutheißen und
würde es schon gar nicht unterstützen. Er hätte doch gesagt, was er täte, wenn.
„Ist ja gut“ sagt die Liese und macht ihn nicht extra darauf
aufmerksam, dass er sich das ja freiwillig angesehen hat und seine Aufregung
irgendwie nix mit den gezeigten Tatsachen zu tun hat. Die Überschrift machte ja
kein Geheimnis aus den nackten Tatsachen des Inhalts des Videos. Oder erwartete
er tatsächlich Kunst zu sehen?
Aber so verrückt sind wir Menschen, denkt sie und verlässt den Raum,
um ein Ründchen um den Block zu gehen.
Nach wenigen Schritten besetzt sie eine Bank im nahen Park,
betrachtet sich die vorüber gehenden Menschen und denkt über Meldungen,
Nachrichten, Werbung, Lüge und Wahrheit nach.
Sie selbst überfliegt ja, ähnlich wie die Grete heute,
täglich die sogenannten Nachrichten in diversen Zeitungen. Online. Gestern hieß
es, der Steuerbetrüger mit den hohen Ämtern im Fußball aus dem Bayernland habe
noch mehr Dreck am Stecken als die Liese und der Rest der Öffentlichkeit bisher
erfuhren. Aus gesicherter Quelle wüssten sie das. Heute verklagt der Herr „IchzahlemeineSteuerninDeutschland“
mit dem stets hochroten Kopf die Zeitung und erklärt, völlig ohne
Faktennennung, das sei alles Quatsch.
Lieschen würde gerne Dinge lesen, die ihr wirklich
Informationen vermitteln und vor allem, sie hätte gerne, dass das, was man ihr
erzählt, ob schriftlich oder mündlich, der Wahrheit entspricht. Aber das ist
wohl zu viel verlangt.
Denn so sind wir Menschen, denkt sie wiederholt. Dauernd
wollen wir mit dem, was wir tun irgendetwas erreichen, oft träumen wir uns in
Realitäten, die wir selbst glauben, die aber keine sind und vor allem wollen
alle irgendwie gut da stehen, erfolgreich sein und irgendwas berichten. Koste es, was es wolle. Manchmal
eben auch die Kleidung.
Genug gedacht, denkt sie und geht die paar Schritte nach
Hause. Schließlich hat sie noch genug zu tun. Morgen wird sie geschult in
Sachen Körpersprache. Das Seminar, das sie besuchen wird, verspricht ihr die
Aufdeckung üblicher Lügen. Sie erhofft sich kurze Blicke auf die Wahrheit und
bedauert schon jetzt, dass ihr das bei Geschriebenem leider auch nichts nützen
wird.
Grete ist ja morgen auch beschäftigt und Lieschen freut sich
schon jetzt auf deren Bericht am Sonntagabend. Egal ob wahr oder nicht.
Eigentlich mag sie ja das Spiel “Wahrheit oder Lüge“. Es fordert sie so schön heraus. Auch die nackten Tatsachen. So oder so.
„Der Zweck heiligt die Mittel“ – Das fiel mir gerade so ein, als ich Hermanns Statement las.
AntwortenLöschenOb der Zweck einem nun gefällt, ist eine andere Sache.
Dahinter stecken natürlich auch Moralvorstellungen, die man vielleicht gern zur Schau trägt.
Für die Kunst ist dann jedes Mittel gut, für Publicity hat es dann wieder einen schalen Beigeschmack, zumindest muss man das wohl so verkünden.
Lieschen sieht das ja auch kritisch und eigentlich möchte sie Derartiges nicht unbedingt wissen. Sie möchte Wahrheit, welche ja auch ein zweischneidiges Schwert ist.
„Meine Wahrheit“ muss ja nicht unbedingt auch „deine Wahrheit“ sein. Und derjenige, der glaubt, sie unverfälscht zu verkünden, hat bestimmt sein winziges Quäntchen Wahrheit mit hineingepackt.
Wir müssen halt sondieren, herauspicken, möglichst viel sammeln, um daraus unsere Wahrheit zu basteln.
Blind vertrauen geht wohl kaum.
Schön, dass Lieschen sich der Körpersprache widmen wird.
Ob sie dann am Sonntagabend ihre Freundin Grete ganz anders betrachten wir?
Ich wünsche ihr auf jeden Fall ein interessantes und auch schönes Wochenende.
Liebe Grüße
Enya
Dankeschön Enya, du Treue Leserin und so genaue Kommentatorin!
AntwortenLöschenDa hat uns Lieschen wieder ne Menge Nachdenkstoff geliefert, was?
lieben Gruß Brigitta