Donnerstag, 22. August 2013

Lieschen, Grete und die Gerechtigkeit

Lieschens Antwort auf Fräulein Grete Meiers Post Nr. 35 ---> guckst du hier


„Gerechtigkeit, Grete“ hat das Lieschen gestern beim Kaffee immer wieder zu ihrer lädierten Freundin gesagt. „Gerechtigkeit gibt’s nicht. Nicht vor Gericht und vielleicht auch nicht im Leben“. Aber weil die Grete darauf bestand, dass man alles tun müsste, damit es sie gäbe, die Liese nicht von ihrer Meinung abwich und die jungen Männer vom Nebentisch zufällig Anwälte waren, hatten sie neben dem üblichen Gelächter und dem gewohnten Frohsinn gestern auch ein bisschen ernstere Gespräche.

Aber der Reihe nach. Gestern war es die Grete, die ein wenig später am reservierten Cafétisch eintraf als das Lieschen. Sie hatte in ihrem Übermut Fahrradstunts getestet, die wohl ursprünglich für jüngere Menschen erfunden wurden. Aber wie sie so ist, hat sie sich geschüttelt, den Spaß am Leben nicht verloren und ist weitergefahren. Wohl ein bisschen langsamer und vielleicht sogar ein wenig vorsichtiger. Jedenfalls kam sie mit Verspätung und wollte dafür und für den kleinen Unfall die Schuld auf sich nehmen. 

Da war sie bei dem katholischen Lieschen an der falschen Adresse. Die findet ja, es gibt keine Schuld. Oder wenn es sie doch gibt, dann sollte man sie nicht so nennen. Oder wenigstens den erniedrigenden Beigeschmack aus dem Wort filtrieren. „Nenn´ es Verantwortung und nimm die.“ sagte sie. „Ne“ sagte die Grete, lachte und betonte, dass SIE ja kein Problem mit diesem Wort habe. Recht hat sie, dachte die Liese und lachte auch. Aber damit war das Thema für den gestrigen Nachmittag nur kurz unterbrochen.

Als die Grete sich einige Zitronenrollen später über das Mannigurteil aufregte und immer wieder nach Gerechtigkeit rief, war es nicht nur die Liese, die sie stoppte. Einer der jungen Herren vom Nachbartisch, der, der sich vorher am deutlichsten über das Gelächter am reservierten Damentisch mokiert hatte, kam bei dem Thema offensichtlich in sein Element. „Wenn Sie die Politik in dem Fall mal außen vor lassen, dann ist das Urteil ok.“ „Wieeeeeeee? Ok?“ Die Grete sprang fast wie von der Tarantel gestochen auf. Lieschen weiß nicht, ob es an den Worten des Jünglings lag oder an der Tatsache, dass er sich ins Gespräch der nicht mehr ganz so jungen Damen einzumischen drohte. „Nach Aktenlage ok. Nach dem Gesetz ok. Nur darum geht es“. 

Da hättet ihr mal die Grete sehen sollen mit ihrer Schramme im Gesicht, das sich nun insgesamt noch rötete und ihrem mittlerweile fuchtelnden Arm. „Wollen Sie mir sagen, Sie Grünschnabel, Sie hätten an der Anklage mitgewirkt, wenn es möglich gewesen wäre???“ „Nein hätte ich nicht“ „Gottseidank!“ „Aber seien Sie mal nicht zu früh zufrieden. Ich bin kein Staatsanwalt. Ich bin Rechtsanwalt und ich habe schon Menschen verteidigt, die des Mordes angeklagt waren“. 

Mittlerweile saß die Grete wieder. Das war auch gut so. Denn es ging weiter. „Es waren bisher drei verschiedene Fälle. Alle freigesprochen.“ „Ja, wenn sie es nicht waren, ist das ja auch richtig so“ klammert sich die Grete an ihre Gerechtigkeitshoffnung. „Nenene“ triumphiert der junge Mann von nebenan. „Getan haben sie es wohl alle drei. Vermute ich. Weiß ich natürlich nicht sicher. Will ich auch gar nicht wissen.“ 
An dieser Stelle bestellte das Lieschen den grünen Tee für ihre Freundin. Nötig war er. Die Schramme im Gesicht hob sich kaum noch von der übrigen Gesichtsfarbe ab. 
„Meine Aufgabe ist es, so oder so, den Angeklagten zu verteidigen. Im Prinzip nach Aktenlage. Wenn die Beweise nicht reichen wird er freigesprochen. Fertig. Wenn die Beweise reichen, dann nicht.“ Grete stürzte den Tee in einem Rutsch, murmelte etwas das wie „dann laufen die Mörder also frei herum“ klang und Lieschen bekam ein bisschen Angst um Gretes Augäpfel, die aus den Augen zu fallen drohten. Als der junge Mann begann, detaillierter aus dem Nähkästchen des Gerichts zu plaudern, drehte sich die Grete einfach weg.

In dem Moment, in dem sie dem Lieschen ins Ohr flüsterte „ach hol ihn doch der Teufel mit all seinen Aktenlagenkollegen“ gab es diesen Schrei vom Nachbartisch. Angeklagt war eine Riesenbiene. Die Tat war wohl ein Stich in dessen Folge ein Arm abzufallen drohte und ob sie später vor Gericht von einem „guten“ Anwalt vertreten werden wird oder nicht, wissen weder die Grete noch das Lieschen.


Die haben sich nämlich, nachdem sie das Thema vom Tisch gewischt und die Anwaltrettungsaktion anderen Gästen überlassen hatten, noch einige Zeit prima miteinander vergnügt. Zum Problemewälzen ist so ein Mittwoch ja nun wirklich nicht gedacht.



5 Kommentare:

  1. Es ist einfach herrlich beide Seiten zu lesen, die Sichtweise zu erkennen und überhaupt. Ich liebe eure Geschichten und warte täglich darauf.
    Mit einem ganz lieben Gruß Geli

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  2. Lieschen, jetzt habe ich herzlich gelacht. Kann mir vorstllen, wie du alles versucht hast, die Grete wieder runterzuholen. Stelle mir das angerötete Gesicht vor.
    Ih bin so froh, dass ich bei euch gelandet bin. Die Geschichten sind echt Klasse. Ich glaube, ich werde süchtig danach.
    Liebe Grüße schickt Dir
    Irmi

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  3. Tja, die Frage nach Schuld und Aktenlage. Das sind so Sachen, die ungeheuer schwer greifbar sind.
    Noch schwerer wir d es bei der Gerechtigkeit.

    Es gibt keine absolute Gerechtigkeit, da sich das Empfinden dafür immer an bestimmten Maßstäben orientiert.. So ist es auch sicher individuell unterschiedlich, was man als gerecht oder ungerecht empfindet. Eine absolute Gerechtigkeit könnte sogar ungerecht erscheinen., wenn die Umstände sehr verschieden sind. Im Pluralismus gilt Gleichberechtigung, aber eben keine Gleichheit. So gesehen ist auch Gerechtigkeit immer relativ.
    Natürlich ist es sehr schwer, gerade vor Gericht zu differenzieren. Es müssen halt objektive Maßstäbe gelten, schon um der Willkür vorzubeugen. Und dennoch wird jeder Fall gesondert behandelt. Oft wird eben nach Aktenlage entschieden, keine weiteren Sachverhaltsermittlungen durchgeführt. Das mutet zweifelhaft an.

    Was die Schuld angeht, so kann ich Lieschen zustimmen. Dem Begriff haftet ja meist etwas religiöses an und in diesem Sinne wären wir alle schuldig, Sünder.
    Damit kann ich so gar nichts anfangen. Schuld kann eigentlich nur entstehen durch falsches handeln, durch Versäumnisse – ob nun bewusst oder gar nach- oder fahrlässig. So gesehen passt der begriff der Verantwortung sehr gut. Komme ich meiner Verantwortung nicht nach, mache ich mich schuldig. Oder so halt....Ist schwierig. Der Begriff der Schuld hat etwas stark Moralisches, Verantwortung scheint zielgerichteter, es scheint nicht so endgültig aufgeladen wie die Schuld, impliziert also eher die Möglichkeit zur Änderung.

    O je, jetzt gerate ich ins Philosophieren,dazu ist es wahrlich zu spät....

    Ach Mensch, ich kann Grete verstehen, aber ich bewundere Lieschen, wie sie es schafft und sich bemüht, die Freundin wieder zu beruhigen.
    Tolle Erlebnisse von den beiden und richtig gute Denkanstöße.

    Macht weiter so!

    Lieben Gruß
    Enya

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  4. Dankeschön Euch beiden!!!

    Zu wissen, dass Euch das Lesen Freude macht, macht mir wiederum ne große Freude!

    liebste Grüße
    Brigitta

    PS: ... und die Liese besteht darauf, dass ich Euch auch von ihr danke und erzähle, dass sie sich ebenfalls freut! ... :-)))))))))))

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  5. Hallo Enya,

    unsere beiden Kommentare haben sich gerade überschnitten ...

    Ich bin immer wieder platt über die vielen differenzierten Gedanken, die du dir anlässlich der "behandelten" Themen machst ... und dir dann auch noch die Zeit nimmst, sie nieder zu schreiben und hier zu posten!

    Das empfinde ich als ganz große Bereicherung für den Blog (die Blogs) ...

    DANKE fürs regelmäßige Lesen UND diese Kommentare!!!

    Eine große Freude!!!

    liebsten Gruß
    Brigitta

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Herzlichen Dank für Euer Interesse und die den Blog so sehr bereichernden Kommentare!
Beides ist sowohl der Liese als auch mir eine große Freude! :-)))