Weil das Fräulein Grete gestern zum ersten Mal ein bisschen
später zum Kaffee kam, hatte die Liese Zeit, die Umgebung des Cafés,
in dem sie sich seit Jahren mit ihrer Freundin trifft, einmal ein wenig genauer
unter die Lupe zu nehmen. Von ihrem Stammplatz, im Grunde mitten auf dem
Marktplatz, aus, betrachtete sie sich die umliegenden Läden. Alles bekannte
Namen. Ableger der Giganten, die sich durch fast alle deutschen Groß- und
Kleinstädte fressen. Lieschen setzte extra die Brille auf, um herauszufinden,
ob es nicht wenigstens einen Laden gab, der nicht zu einer dieser Ketten
gehörte, die quasi alle das Gleiche verkauften. Aber nein. Sie erspähte nicht
ein kleineres, im Angebot abweichendes Lädchen. War das schon immer so? Überall
Riesenleuchtreklamen, jede Menge Rundständer vor den Läden und Einheitszeugs. „Wer
soll das alles kaufen?“ fragte sie sich. Offensichtlich laut. Denn die Dame vom
Nachbartisch sagte „Naja. Geht ja schnell kaputt.“
Lieschen lachte und freute sich über die sehr ungewöhnlich
gekleidete Dame am Nachbartisch. Strahlende, lebendige Augen hatte die. Sieht
man nicht oft, dachte die Liese und sagte „Sie kaufen das doch auch nicht,
oder?“ „Nein! Um Gottes Willen, nein! Ich will doch nicht aussehen wie alle.“
Und noch bevor Lieschen während des Hochziehens ihrer Augenbrauen eine weitere
Frage formulieren konnte, fügte sie hinzu „ich lasse mir die Kleidung von einer
Freundin anfertigen oder suche in Städten, die in Nebenstraßen noch besondere
Lädchen haben. Ich brauche nicht viel. Das Wenige soll aber sitzen, schön sein und
nicht nach der ersten Wäsche im Müll landen müssen. Sie müssen wissen“ ging es
weiter, „Sie müssen wissen, mich kotzt diese Verschwendung und Umweltzerstörung
an. Ganz zu schweigen von dem Elend, das dieser völlig überflüssige Überfluss
über die Arbeiter in den Herstellerländern und die Angestellten in den
europäischen Filialen dieser gigantischen, ausbeuterischen Unternehmen bringt“.
Ein Redefluss, dessen Ende nicht in Sicht war, der Dame aber gut zu Gesicht
stand. „Von der Verschandelung der Städte, die man ja kaum noch unterscheiden
kann, will ich gar nicht erst anfangen. Das muss sich ändern und bei den
Verbrechen mache ich einfach nicht mit!“ Lieschen amüsierte sich. Sie mag es,
wenn sich Menschen aus Überzeugung ruhig und bestimmt in Rage reden. Und
außerdem hätte sie der Dame ja in allem zugestimmt, wenn sie gefragt worden
oder wenigstens zu Wort gekommen wäre.
„Am Schlimmsten ist“ fuhr die fort „das die meisten Menschen
in dieser Einheitskleidung geschossen aussehen. Gucken die sich denn niemals im
Spiegel? Wissen die denn nicht, dass es keinen Einheitsmodezwang gibt?“ Jetzt geht’s
aber los, dachte das Lieschen. Und als sie gerade beginnen wollte, die Käufer
des Überangebots, das Mode genannt wird, zu verteidigen, kam die Grete mit
ihrem Fahrrad um die Ecke gerast und begann noch während sie das Rad am
Sonnenschirm festschloss, von Milchpulver, ner Drogerie, Frau Hebers und den
Chinesen zu berichten. Das stoppte die Rede der Dame vom Nachbartisch. Die
bestellte sich noch ein Sektchen, nickte kurz der Grete zu und tat dann so, als
gäbe es etwas Interessantes schräg hinter der Grete und der Liese zu betrachten.
Vermutlich hatte sie aber sowohl Ohren als auch Augen mitten
auf dem Tisch unserer Beiden liegen, wo eigentlich kaum noch Platz war zwischen
den vielen Getränken, Kuchen und Salaten, die sie wie jeden Mittwoch nach und
nach in den kurzen Rede- und Hörpausen verputzten.
Und doch muss es so gewesen sein, denn als die Grete ihr
Geschenk unter Wahrung des ebenfalls selbst hergestellten Geschenkpapiers auf
dem Schoß auswickelte und dann voll Freude in Höhe hielt, sprang die Dame vom
Nebentisch auf, nahm Grete die Sonne und rief „WOHER HABEN SIE DAS? SO SCHÖN UND UNGEWÖHNLICH!“ Grete
deutete überrumpelt und still auf Liese. Die Dame machte unmissverständlich
klar, dass sie ein solches Shirt ebenfalls bräuchte, zu der Kette allerdings
ein Armband fehlte und Grete, der ja nicht nur ein Armband, sondern auch die Vorgeschichte fehlte, verstand die
Welt nicht mehr.
Mag sein, dass das Fräulein Grete Meier am nächsten Mittwoch alles daran setzen wird wieder pünktlich zu kommen. Hoffentlich.
Nun habe ich es endlich geschafft euch zu abonnieren damit ich auch ja nichts verpasse.
AntwortenLöschenWas für ein schöner Nachmittag mit Kaffe Kuchen Salat usw. und dann die Oldietruppe am Nachbartisch. Eigentlich alles ganz normal oder doch nicht?
Wie immer ein Highlight
mit einem lieben Gruß Geli
Warst du nicht schon Abonnentin? :-)))
AntwortenLöschenWie ich auch immer. Ich freu mich!
Danke.
lieben Gruß
Brigitta
Sehr gelungen - sowohl das Geschenk für die Grete als auch dein Text, den ich mal wieder grinsend genossen habe:)))
AntwortenLöschenLG
*Lach ... Merci ... :-)))
AntwortenLöschenlieben Gruß
Brigitta
Die Dame am Nachbartisch hat ja unbedingt Recht.
AntwortenLöschenWie viele denken heute „clever kaufen....“ ohne eben zu denken, nachzudenken.
Quantität statt Qualität, so scheint das Motto, einem „Einheits-Trendy-Look“ genügen zu wollen und das eben billig. Wegwerfsachen sind das, ja, und dahinter stehen die „Wegwerfmenschen“. Wenn man sich mal die Mühe macht, nachzuforschen, wie die Billigpreise in solchen Ladenketten zustande kommen, dann kann einem schlecht werden (50% Gewinn, 1% Lohnkosten).
Und austauschbar sind sie, diese Ladenketten. Hier, in meiner Stadt, verschwinden sie manchmal, nur um an anderer Stelle wieder aufzutauchen, Die leeren Räume werden in kürzester Zeit wieder gefüllt mit neuen Einheitsprodukten und allzu viele kleine liebgewonnene Läden, die verschwinden auf Nimmerwiedersehen. Traurig
Ich kann verstehen, dass sich die Dame am Nachbartisch in Rage redet.
Wie wunderbar, dass es Menschen wie Lieschen gibt, die solch schönes Unikat für ihre Freundin hergestellt hat. Der beste Lohn ist da sicher Gretes Freude.
Hier nun freue ich mich mit den beiden.
Nachdenkliche Grüße
Enya
Ja, Enya ... so richtig clever kaufen ist ja fast nicht möglich. Je mehr man/frau erfährt, desto unmöglicher wird es ja, ohne Beteiligung an Verbrechen und Not zu konsumieren ... und außerdem gibt es ja jeweils auch die andere Seite der Medaille ... Konsum verursacht Arbeit für Menschen, die snst vielleicht keine hätten ... usw. Riesenthema ...
AntwortenLöschenDir wieder herzlichen Dank!!!! lieben Gruß Brigitta