Freitag, 23. August 2013

Lieschen hat gar kein Auto

Lieschens Antwort auf Fräulein Grete Meiers Post Nr. 36 ---> guckst du hier

Nicht nur, dass das Lieschen nicht mehr Auto fährt. Nein. Konsequent wie sie ist, hat sie gar kein Auto - mehr.  Das war mal anders. Vor vielen Jahren hat sie es geliebt, bei Wind und Wetter mit ihrem offenen Flitzer durch die Welt zu brausen. Nur kurz anhalten, Knopf bedienen und schon tat das Verdeck, was sie wollte. Bei drohenden Regentropfen war es bereit, sie zu schützen und bei jedem anderen Wetter machte es den Weg frei. Wehende Haare, auch ins Gesicht, das mochte die Liese in ihrem roten Gefährt.

Bis zu dem Tag, an dem sie eine an sich gewohnte längere Autobahnstrecke von 300 Kilometern zwischen zwei deutschen Städten gefahren ist. Hin und zurück ist sie gefahren.  Ohne Navi. Das gab es damals noch nicht.
Eigentlich hat es ihr wie immer Spaß gemacht. Doch nach Abschluss der kleinen Reise erhielt sie per Post zwei Schnappschüsse. Ihr Gesicht, wehendes Haar und ein Lächeln. Nicht dass sie beim Schuss extra gelächelt hätte. Nicht dass sie bemerkt hätte, dass sie geblitzt worden war. Nicht dass sie vor Wut nicht getobt hätte als sie die Post bekam. Sie hat getobt. Und zwar über diese furchtbare Baustellenpolitik. An ellenlangen Baustellen war sie vorbeigefahren. Viele Kilometer lang. Zu Beginn ein Schild, das ihr sagte, sie dürfe nur noch 60 km/h fahren. Tat sie auch. Eine Zeit lang. Dann. Keine Bauarbeiter. Keine Erinnerungsschilder. Nachlassende Erinnerung. Und schon fuhr unsere Liese schneller. So wie alle anderen auch. Sie war sich keines Vergehens bewusst. Bis ihre Erinnerung durch die erhaltenen Briefe geweckt wurde. Auf der Hin- und auf der Rückfahrt.

Als sie sich wieder beruhigt hatte, schrieb sie die horrenden Zahlen auf zwei Überweisungsträger, brachte sie zur Bank (Online-Banking gab es auch noch nicht) und sagte innerlich „Da! Nehmt es! Aber mehr kriegt ihr von mir nicht! Niemals mehr!“, verkaufte das Auto und fuhr von diesem Moment an Bahn.

Schon lange liebt sie das. Schon lange besitzt sie eine Netzkarte für die kleineren Strecken und eine Bahncard, die ihr die längeren bezahlbar macht. Damit ist die Liese glücklich. Nie mehr Stau, keine Parkknöllchen, keine Parkgebühren und vor allem keine Post mit verwackelten Bildern im Wert von kleinen Reihenhäusern. 

Im unwahrscheinlichen Fall, dass ein Zug, mit dem die Liese fahren will schlimme Verspätung hat oder gar ausfällt, macht sie es sich auf dem Bahnsteig gemütlich. Guckt. Liest. Ist entspannt und freut sich ihres kostengünstigen Lebens.

Und sie erlebt viel. Am liebsten hat sie das Theater, das falschherum gereihte ICEs, natürlich in letzter Sekunde, kurz vor Ankunft des Zuges im Bahnhof gemeldet, verursachen. Mit viel zu schwerem Gepäck auf dem Bahnsteig rasende und rempelnde Personen mit hochroten Köpfen hätte sie in ihrem Auto niemals beobachten können. Lustige Durchsagen in köstlichem Englisch gab es in ihrem roten Flitzer ebenfalls nicht.

Was ihr aber nach all den Jahren das allerliebste am Bahnfahren ist, ist die Tatsache, dass sie sich, nachdem sie sich einmal für ein Ziel entschieden und die Karte in der Tasche hat, einfach den Zugführern anvertrauen kann. Sie hält das für eine große Freiheit. Die Liese fühlt sich im Zug so frei wie sich fast alle anderen Menschen, die sie kennt in ihren Autos fühlen. Sie mag das Getacktete der Fahrpläne, das ihr fast jede weitere Entscheidung abnimmt. Sie hält die Zeiten, in denen sie gefahren wird (und auch die Wartezeiten) für geschenkte Zeit und genießt sie besonders.


Die Kleinbusse, die auch Gretes Arbeitsweg säumen und selbst auf dem Weg zu ihren Arbeiten sind, sieht das Lieschen nur durch die Zugfenster. Ganz gemütlich durchs Fenster. Für die Betrachtung waghalsiger Überholmanöver reicht meist die Verweilzeit nicht. 
Wenn sie also richtigen Straßenterror sehen will, muss sie wohl mal mit der Grete zur Arbeit fahren oder einfach nur mit Hermann Formel 1 gucken. Mal sehen. Vielleicht macht sie beides mal. Auch nur so zum Spaß.




11 Kommentare:

  1. Wenn ich hier nicht so ländlich wohnen würde, dann würde ich mein Auto auch sofort abschaffen, aber das ist hier nicht so toll und deshalb fahre ich noch - aber meist innerhalb der Geschwindigkeitsbegrenzungen, geblitzt wurde ich ich fast 40 Jahren nur ein einziges Mal.

    Liebe Grüße
    Regina

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    1. Ja, Regina, auf dem Land ist es wirklich schwierig ohne Auto. Wir leben jetzt in der Stadt und ich genieße die wunderbare Infrastruktur. Bahn, Bus, Zug ... alles in der Nähe. Das macht das Leben leicht, finde ich.

      Danke dir!
      lieben Gruß
      Brigitta

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  2. Ui, da war die Liese wohl ziemlich flott unterwegs! Das Bild mit den wehenden Haaren und der grinsenden Liese hab ich direkt vor Augen - genauso wie den Flunsch, den sie beim Öffnen der Post wahrscheinlich gezogen hat.
    :D
    Liebe Grüße

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    1. *lach ... ja ... so habe ich sie beim Schreiben auch vor mir gesehen :-)))

      Danke!

      lieben Gruß
      Brigitta

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  3. Nun muss ich wirklich lachen, Bahnfahren ist sicherlich entspannend, aber bei den Verspätungen kann von Erholung keine Spur sein. Stundenlange Verspätungen seufzzz machen das Ganze zur Strapaze, aber natürlich ist es löblich, zu mal so ein Polaroid in schwarzweiß schon schockierend sein kann. Ich bin noch nie geblitzt worden und hatte da einfach Glück, aber meine bessere Hälfte kann ein Lied davon singen.Bis Morgen Geli

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    1. Du bist noch nie geblitzt worden? Du Glückliche! :-)))
      Ich schon. Dieser Teil der Lieschengeschichte war wieder aus meinem eigenen Leben gestohlen. :-)))
      Und mit der Bahn hatte ich bisher Glück ... so ganz gruselige Verspätungen habe ich bislang noch nicht erlebt.

      lieben Dank dir!
      Brigitta

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  4. Nun habe ich einen langen Kommi geschrieben, aber irgendwie will es nicht, alles weg. Nun dann, ich freue mich auf morgen....

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    1. *lach ... ist doch alles da ... vielleicht musst du nur ein bisschen Geduld haben ... :-)))

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  5. Auf der einen Seite muß ich die Konsequenz, das Auto zu verkaufen, anerkennen - andererseits hätte ich den Mut nicht gehabt. Hier auf dem Land kommt man nicht überall hin, wenn kein fahrbarer Untersatz mehr vorhanden ist.
    Wenn ich nach Heilbronn, Stuttgart, Heidelberg etc. will, fahre ich auch immer mit der Bahn. Da geht es mir genau so.
    Ich bin entspannt. Muss keinen Parkplatz suchen und kann im Winter sogar einen kleinen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt trinken.
    Einen guten Start ins Wochenende wünscht
    Irmi

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    1. Ja, auf dem Land ist es echt schwierig ohne Auto ... und wird wahrscheinlich immer schwieriger.
      Ich selbst bin auch nicht sooo konsequent wie ich es dem Lieschen angedichtet habe.
      Wir haben noch ein Auto. Ein zweckmäßiges. Das steht allerdings tatsächlich die meiste Zeit in der Garage. :-)))

      herzlichen Dank!
      lieben Gruß
      Brigitta

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  6. Lieschen hat also kein Auto mehr. Das finde ich toll. Wenn es irgendwie ginge, hätte ich auch keines.

    Ja, die leidige Baustellenpolitik, da habe ich Grete schon etwas dazu geschrieben. Mein Mann ist Verkehrsingenieur und schlägt sich mit dieser Problematik herum.
    Es müsste endlich mal ein fairer Wettbewerb möglich sein bei der Vergabe der Aufträge. Dann käme man vielleicht mal in die Gänge und die Sanierungsprojekte würden sich nicht so verzögern. Aber da wird das billigste Angebot genommen und der Satz, dass Zeit Geld ist scheint nicht mehr zu gelten.

    Ich mag das Bahnfahren auch und wenn man Zeit hat (oder sie sich nimmt), dann kommt man auch mit den Verspätungen zurecht.
    Ich liebe es im Zug zu sitzen, hinaus zu schauen oder zu lesen, manchmal döse ich oder träume mich weg. Wann sonst kann man das alles so haben im Alltag?

    Allerdings ist es für Berufstätige wirklich nicht immer eine Freude. In letzter Zeit gab es sehr viel Unwesen bei der Bahn, gerade was ausgefallene Züge und Verspätungen angeht.
    Neulich wollte ich mich mit einer Freundin treffen, die ich so selten sehe. Unsere Zeit war begrenzt. Wir führen mit dem Zug, um uns in der Mitte zu treffen. Unsere beiden Züge hatten ziemlich Verspätung, sind zum Teil ausgefallen und unsere gemeinsame Zeit war ruckzuck geschrumpft. Da haben wir uns schon geärgert.

    Ich brauche das Auto noch, um zur Arbeit zu kommen (Meine Stelle liegt irgendwo auf dem Dorf in der Pampa, der Busverkehr ist spärlich). Ansonsten brauche ich kein Auto, wohne in der Stadt (im Grünen) und kann alles zu Fuß erreichen.
    Als wir aber auf dem lande wohnten, war es sehr schwierig mit den öffentlichen Verkehrsmitteln.

    Ansonsten kann ich Lieschens Einstellung nur bejahen, fast bewundern, sie scheint mir fast wie eine Lebensphilosophie.
    Sich anvertrauen, fallen lassen, Wartezeiten als geschenkte Zeit betrachten und ein Stück Freiheit gewinnen. Das hat schon was. Seufz...

    LG
    Enya

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Herzlichen Dank für Euer Interesse und die den Blog so sehr bereichernden Kommentare!
Beides ist sowohl der Liese als auch mir eine große Freude! :-)))