Donnerstag, 1. August 2013

Lieschens Freundschaftsbeweis, die Saxonette und das Stottern

Eigentlich liebt das Lieschen den Mittwoch. Jede Woche wieder. Mittags steigt sie in die Straßenbahn. Dort liest sie oder betrachtet die Mitfahrenden. Vielleicht lässt sie sich in das ein oder andere Gespräch verwickeln oder schaut aus dem Fenster. Und dann trinkt sie Kaffee. Im Café. Am reservierten Tisch mit dem Fräulein Grete. Kurz und gut. Mittwoch ist ein wunderbarer entspannter Tag. Jedenfalls war das immer so. Bis gestern. Aber nicht einschließlich.

Die Grete hat sich nämlich vorgenommen, wieder sportlich zu werden. Wahrscheinlich eine ähnliche Aktion wie „jetzt nehme ich ab“, dachte das Lieschen als die Grete ihr davon erzählte. Sie sagt es und tut nichts in dieser Richtung. Aber nein! Sie plante, mit dem Fahrrad zum wöchentlichen Mittwochstreff zu kommen. „Na gut“, sagte das Lieschen „jeder wie er will. Viel Spaß!“. 
„Neinneinnein!“ schrillte Gretes Stimme aus dem Telefon. „Wenn du meine Freundin bist, dann kommst du auch mit dem Rad!“ Der Ton hielt sich lange im Ohr und machte ihr klar, dass Widerspruch zwecklos wäre. Aber Lieschen hatte keine Lust zu einer Kamikazefahrt durch die Stadt, die ihre untrainierten Beine in Knoten verwandeln würde. Also griff sie zu einer List und säuselte „Na klar“, „gute Idee“ und „selbstverständlich“ ins Telefon. Grete war zufrieden und Lieschen raste zu Hermann und brüllte „ich brauch deine Saxonette. Morgen!“.

„Geht nicht. Ist auseinander gebaut. Vergaser“. Für diese Meldung schaute Hermann nicht einmal vom Computer auf. „Ach du meine Güte!“ Lieschen erschrak.
Dabei war ihr Plan so gut! Sie hatte sich schon ein sehr witziges Bild vom folgenden Tag gemacht. Sie sah Grete fix und fertig in praller Sonne durch die Stadt strampeln und im Anschluss mit zerzaustem Haar und verlaufenem Makeup nur noch auf dem Caféstuhl hängend. Während sie, das Lieschen, gemütlich mit 20 Stundenkilometern auf Hermanns Motorfahrrad Richtung Cafe zuckelt, absteigt, in voller unzerstörter Schönheit Platz nimmt und während Grete wie eine Verdurstende ein kaltes Getränk nach dem anderen kippt, selbst genüsslich an ihrem Espresso nippt.

Soweit das Bild. So schön der Plan. Und jetzt das. Auseinander gebaut. Das kann Jahre dauern. Weiß die Liese aus Erfahrung. Wenn so ein Vergaser mal auseinandergebaut ist, kann eine Menge passieren. Unvorhergesehenes. Im Normalfall fehlen Teile, die erst besorgt werden müssen. Und die Welt könnte auch noch vor dem Zusammenbau untergehen! Lieschen geriet in Panik! In echte Panik! Sie hatte gar kein Fahrrad. Also keines, das fuhr. Nur das bunt Umhäkelte, das die Wand im Garten zierte. Und eine Freundin, die als Freundschaftsbeweis ein Lieschen auf dem Fahrrad wollte.



„Herrmann!!! Ich brauche das!!!“ Lieschen kann laut werden und Hermann weiß das. Also tat er, was zu tun war. Am Abend schnurrte die gute Saxonette wie eh und je. Hermann hatte alles stehen- und liegengelassen, den Vergaser gereinigt, zusammen- und eingebaut. Lieschen war glücklich.
Bis zum nächsten Mittag.

Die Sonne schien gnadenlos. Zehn von zwanzig Kilometern hatte sie bereits in größter Freude sehr gemütlich zurückgelegt als der Motor stotterte. „Nein!!!“ Sie gab mehr Gas und rettete sich einen weiteren Kilometer Richtung Cafe. Und noch einen. Und noch einen. Dann hörte selbst das Stottern auf.

Um es kurz zu machen. Die restlichen 7 Kilometer zerzausten ihre Haare, verknoteten ihre untrainierten Beine und verwischten ihr bisschen Makeup. Angekommen stürzte sie ein Wasser nach dem anderen herunter und wunderte sich über Grete, die wohl schon einige Zeit auf sie wartete, einen sehr entspannten Eindruck machte und sich nun köstlich übers Lieschen amüsierte.

Hermann hat die Liese dann später im Café abgeholt. Natürlich erst nachdem Grete schon den Heimweg angetreten hatte. Noch am gleichen Abend trennten sich der Vergaser, der Motor und das Fahrrad. Wer weiß für wie lange. Der Liese ist es gleichgültig. Sie fährt in Zukunft wieder Bahn oder geht zu Fuß. Das ist gesünder.

Aber einmal erlebt, erzählt sie natürlich auch der Fahrradfrau von diesem gruseligen Erlebnis. Die wird sich amüsieren. 








4 Kommentare:

  1. Mit meinem Saxonett kann man auch nicht fahren, es hat aber auch keinen Vergaser, geschweige denn Reifen, es ist nämlich ein Musikinstrument. :)
    Lieschens Fahrt kann ich mir lebhaft vorstellen und ich finde es gut, dass sie alles gibt, um ihre Freundin nicht zu enttäuschen!

    Liebe Grüße
    Regina

    AntwortenLöschen
  2. Hallo Regina, du treue Leserin und Kommentatorin,

    Google sei Dank weiß ich jetzt auch wie deine Saxonette aussieht. Witzig. Eine Bezeichnung für zwei so unterschiedliche Dinge! :-)))

    lieben Gruß
    Brigitta

    AntwortenLöschen
  3. Find ich ja superlieb von der Liese, dass sie für die Grete sogar auf´s (E-)Bike steigt. Und suuuuperlieb von euch beiden, dass ihr meine Fahrrad-Anfrage so prompt beantwortet habt - noch dazu inklusive Verlinkung! Ganz liebes Dankeschön!

    AntwortenLöschen
  4. Jaja :-))) ... sooooo sind die beiden, die Grete und die Liese ... gefreut haben sie sich über die Anfrage ... das jedenfalls entnehme ich ihren Texten *lach ... :-)))

    Danke dir und lieben Gruß
    Brigitta

    AntwortenLöschen

Herzlichen Dank für Euer Interesse und die den Blog so sehr bereichernden Kommentare!
Beides ist sowohl der Liese als auch mir eine große Freude! :-)))