„Wenn alle Menschen alles, was sie an Anderen interessiert,
diese sofort fragen würden und die dann selbstverständlich wahrheitsgetreu und
ehrlich antworten würden, gäbe es die meisten unsinnigen Aktivitäten in dieser
Welt nicht.“ Hermann, der heute zu einem Gespräch aufgelegt zu sein scheint,
sagt „So isses Liese“ und erwartet nun eine Fortführung des mit Lieschens langem Statement begonnen Gesprächs.
Die
wollte aber nur mal ihr Fazit von Gretes Tagesbericht vor sich hin murmeln und
Hermann saß zufällig auch am Tisch. Weil der aber nicht locker ließ, ging es
weiter. „Wie kommst du darauf?“ „Naja“ sinniert die Liese „wenn die Leute in
Gretes Firma nach dem WARUM fragen würden, wüsste die Grete, dass Susi sich
verstellt, um Simons Gunst zu erwerben oder zu behalten und könnte sich wieder
auf ihre Arbeit konzentrieren. Der Chef wüsste, die Susi will in die
Werbeabteilung und könnte zu diesem Wunsch ein klares Ja oder Nein formulieren.
Die Susi könnte im Falle eines Jas für zwei Wochen ihre Maskerade bald beenden,
denn zwei Wochen sind lang und brächten vermutlich Klarheit. Die Grete hätte
ihr Sekretariat weiter für sich und könnte zum Beispiel nur für die paar
Stunden, die sie früher gehen möchte eine Telefonvertretung ordern. Und so
weiter.“ Hermann lacht. Würde er das Lieschen nicht schon lange kennen und
bereits ebenso lange diese Fragerei in ungeklärten Situationen mit ihr üben,
hätten ihn ihre Worte vermutlich einfach nur verwirrt, er hätte sich so seine
Gedanken gemacht oder auch nicht und wäre zur Tagesordnung übergegangen. Also
zu seiner. Aber er fragt. „Hat dir die Grete wieder aus der Firma erzählt?“ „Jaja.
Habe ihren Tagesbericht gelesen.“ „Und da steht drin, dass die Leute alle nicht
fragen und antworten?“
„Naja. In Nebensätzen und zwischen den Zeilen. Also
jedenfalls sprechen alle irgendwie durch die Blume.“ „So wie du jetzt?“ „Naja. Irgendwie
ja.“ Lieschen weiß nun auch nicht mehr, was dieser Bericht, ihr Fazit und
dieses uneffektiv wirkende Gespräch eigentlich mit ihr und Hermann zu tun
haben, erzählt aber dennoch kurz die Fakten aus Gretes Bericht und verschwendet
damit die direkte Möglichkeit, das unbewusst begonnene Gespräch bewusst zu
beenden.
Hermann ist gut gelaunt und macht sich einen Spaß daraus,
Lieschens vor sich hin gemurmelte Überlegungen zu zerfleddern. „Du glaubst doch
nicht, dass Gretes und Susis Chef ein klares Ja oder ein klares Nein über seine
Lippen bekäme? Was du mir bis jetzt über ihn erzählt hast, deutet doch darauf hin,
dass er ein Würstchen ist, dass die Frauen in seiner Umgebung, wahlweise mit
Senf oder ohne, aber auf jeden Fall, verspeisen. Die Möglichkeit, dass ER das Theater
beendet, in dem er die Susi auf ihren Arbeitsvertrag und ihre
Arbeitsplatzbeschreibung verweist und sie selbstverständlich nicht in seiner Firma
rum hopsen lässt, wie nur sie es will, ist also doch gleich Null. Oder etwa
nicht?“ „Jaja. Null. Haste Recht.“ „Siehste! Ist doch lustig.“ „Wie jetzt?
Lustig? Diese heimlichen Botschaften, Deutungen, Bespitzelungen und ihre Folgen
nerven doch. Schon beim Lesen oder
hören. Ich würde wahnsinnig, wenn ich damit im realen Arbeitsleben zu tun
hätte.“ Hermann amüsiert sich. Er kennt die Liese und heute hat er Spaß an dem,
was gemeinhin Gespräch genannt wird. „Ja DU würdest verrückt darüber. Aber
weißte was? Du musst da ja auch nicht hin.“ „Gottseidank!“ „Genau! Kannste dankbar
für sein.“ Lieschen seufzt und knabbert ein bisschen kindlich weiter an ihren
Gurkenscheiben, die ihr Vitamine bringen, den Magen füllen und die Figur sichern. „Du meinst, ich
sollte die Erzählung nicht persönlich nehmen und sie einfach nur als Spiel
zwischen Menschen verstehen, die halt andere Vorlieben haben als ich?“ „Ja klar. Was
sonst?“ „Du bist wie du bist, ich bin wie ich bin und alle anderen sind wie sie
nun mal sind. Und jeder spielt sein eigenes Spiel.“
„Menschenskinder“ seufzt
die Liese und während sie mit Nachdruck den Tisch abräumt, bewundert sie
Hermanns Weisheit, die in dieser Situation, die er durch seine hartnäckige
Fragerei letztlich selbst hergestellt hat, prima zur Geltung kommt.
Hätte sie selbst den Bericht von der Grete „fazitlos“
gelesen und adacta gelegt, schließlich gab es ja keine Frage oder Aufforderung
an sie darin, oder hätte sie den Tisch sofort nach ihrem ausgesprochenen Fazit
verlassen, hätte sie sich selbst auch weise nennen können. Doch so musste sie
erkennen, dass die Gründe und Ursachen für unsinnige Aktivitäten wohl noch
vielfältiger und vielschichtiger sind als im Eingangssatz angenommen.
Die Frage, ob es wohl überhaupt sinnvolle Aktivitäten gibt
und ob überhaupt irgendetwas los wäre in dieser Welt, wenn die Menschen, einschließlich ihrer selbst, nicht dermaßen verpeilt wären wie sie es nun mal
sind, stellte sie klugerweise nicht mehr.
„Nimm mich, dich, die Menschen und Situationen so wie sie sind.
Das ist das Klügste. Aber das weißt du ja selbst“ avancierte somit zu Hermanns
Abschlussstatement. Dass es den Abschluss bildete erkannte Lieschen daran, dass
Hermann aufstand und den Raum verließ. Über die Frage, was er wohl jetzt
vorhabe, dachte sie nicht nach. Diesmal nicht.
Grete und Lieschen als kostenloses E-Book - die ersten 50 Kapitel:
"Jeder spielt sein eigenes Spiel" - da hat Hermann wohl recht.
AntwortenLöschenAber es ist oft gar nicht so einfach, diesem Spiel zuzuschauen, zumindest nicht, wenn man selbst involviert ist.
Auch ich stelle oft fest, dass Menschen sich den Umgang erschweren, weil es an der Klarheit in der Kommunikation mangelt.
Da sagst du was und es folgt evt. eine Kette an Reaktionen, bei der jede wieder eine Kette nach sich ziehen kann.
Nachher weiß keiner mehr, was eigentlich los ist. Anstatt nachzufragen, wird gemutmaßt, spekuliert, die eigene Befindlichkeit hineingelegt....Man "liest" zwischen den Zeilen.
Ganz oft bleibt man nicht bei sich selbst und äußert eben nicht das, was man gern möchte.
Manchmal entsteht dann eine Art Ratespiel, die Katze bleibt lange im Sack.
Warum eigentlich? Fürchtet man,etwas zu verlieren?
Beim Lesen habe ich mich auch gefragt,was Lieschen möchte. Will sie wirklich nur das Fazit vor sich hinmurmeln oder hat sie doch insgeheim Hermanns Reaktion erwartet?
Er hat jedenfalls diesmal nicht locker gelassen.
Ob das Lieschen wohl enttäuscht gewesen wäre, wenn er nicht reagiert hätte?
So hat sich aber ein Gespräch ergeben, das mit Erkenntnissen endet, zumindest für Lieschen. Hermann hat diese nur wunderbar subtil verpackt und in kleinen Wellen herausgelassen.
Irgendwie macht dies doch die sache interessant.
Ich weiß, dass ich jetzt wieder (ähnlich dem Lieschen) darüber nachdenken werde. Fazitlos stehen lassen - nee, das kann ich nicht so gut.
Einen schönen Sonntag und liebe Grüße
Enya
Herliche Zeilen liebes Lieschen, ja jeder spricht seine eignen Worte ohne zu wissen, ob das Gegenüber sie versteht. Aber doch herlich mit anzusehen wie die Susi versucht dem Simon zu gefallen.
AntwortenLöschenLiebe Sonntagsgrüße
Angelika
Lieschen, ich hätte wirklich nicht vermutet, dass Herr Hermann so tiefsinnig denken und formulieren kann. Ein so langes Gespräch über
AntwortenLöschenBelanglosigkeiten, denn uns tangieren die Begebenheiten in Gretes Firma ja nicht, ist schon bemerkenswert. Wenn wir - die Damenwelt - auch daran interessiert sind, wie es mit Susi ausgehen mag, könnten schon Morgen wichtigere Dinge anstehen. So ist das Leben. Wichtig ist nur, dass wir die Gedanken aufnehmen und darüber diskutieren können und dürfen - ganz gleich in welche Richtung auch immer.
Einen schönen Sonntag wünscht Dir
Irmi
Natürlich wäre es einfach, wenn alles sofort ausgesprochen wird. Wir Frauen tun uns da oft besonders schwer, ein Nein kann ein Ja bedeuten und umgekehrt genauso. Wer die Kommunikation perfekt beherrscht hat es deutlich einfacher. Ich neige auch oft dazu, mich nur wischiwaschimäßig auszudrücken obwohl ein klares Worte einfacher wäre, aber ich bin lernfähig. Ich stimme Hermann zu, jeder spielt sein eigenes Spiel, nach seinen Regelen und das ist nicht einfach. LG Geli
AntwortenLöschenKluge Argumente, die der Hermann da von sich gibt, hauptsächlich seine Abschluss -Gedanken !
AntwortenLöschenEr hat ja recht, leider kann man nicht immer mit der Wahrheit herausrücken, auch wenn es sinnvoll wäre und vielleicht einiges vereinfachen würde,,,oder auch nicht ?!
Jedenfalls hat sich das liebe Lieschen gleich zum Wochenanfang sehr tiefschürfende Fragen gestellt, die anregen, mal darüber zu diskutieren !
Z.B. auch bei mir mit dem GÖGA , der heißt aber nicht Hermann, der heißt Reinhard.
Einen guten Wochenstart wünscht dir
Jutta