Lieschen vermutet, dass die Grete zu viele Thriller und
Krimis liest. In der sogenannten Realität kommt es nämlich nur sehr selten vor, dass süße kleine Fliegen Menschen
etwas zuleide tun. So Fliegen sind nämlich im Normalfall ziemlich klein, sitzen
rum, fliegen und machen dabei ein leises Geräusch. Mehr nicht. Dachte das
Lieschen jedenfalls bis sie Gretes Tagesbericht gelesen hat und dann das Wort „Fliegen“
gegoogelt hat.
Jetzt weiß sie, dass
Fliegen sich in organischen Resten besonders wohl fühlen und Krankheiten
übertragen können. „Toll“, denkt sie, „wieder ein Stückchen Naivität verloren.
Und eine Paranoia dazu gewonnen?“ Manches Wissen ist nämlich für das Lieschen
nichts. Deshalb liest sie auch keine Thriller, Krimis oder Vergleichbares. Sie
stellt sich das Gelesene gewöhnlich viel zu genau vor. Sie ist in der Lage, das
was sie liest, hört oder (fern-)sieht so zu fühlen als würde sie es erleben.
Und dann glaubt sie natürlich, dass es die gruseligsten Ereignisse tatsächlich
gibt.
„Ich muss wohl nicht erwähnen, dass mir Science Fiction und Katastrophenfilme
oder –bücher nicht dienlich sind“ sagt sie und fährt automatisch fort, sich die
Sache mit der Grete, dem Schlafzimmer und der Fliege weiter auszumalen. Als sie
an der Stelle ankommt, wo die Fliege Gretes Schlafzimmer kurz verlässt, um es
sich in der Tonne für organischen Müll unter dem Fenster des Schlafzimmers gemütlich
zu machen und auf dem Rückweg zu Grete so groß wird, dass sie kaum noch durch
das Schlafzimmerfenster passt, beschließt sie mit Gewalt, diesen Bildern
Einhalt zu gebieten. Sie richtet sich auf, schüttelt den Kopf und erlaubt als beinahe
letzten Gedanken zum Thema nur noch sehr kurz die Vorstellung, dass dieses
Riesenvieh nun neben Grete auf dem zweiten Kopfkissen sitzt und sie interessiert
ansieht. Im Dunklen. Ob Fliegen im Dunklen tatsächlich sehen können googelt sie
vorsichtshalber nicht mehr und auch die Idee, dass die nun riesengroße Fliege
beginnt die Grete im Schlaf zu verspeisen verwirft sie indem sie den Kopf noch
einmal enorm heftig schüttelt.
„Was nun?“ fragt sich die Liese als sie den Kopf endlich
wieder stillhalten kann und findet keine Antwort. Einzig ihr Körper verlangt
nach Bewegung. So zieht sie sich die bequemen Schuhe und die warme Jacke an,
verlässt das Haus und spaziert in die Natur. Erst langsam, dann schneller und
dann so schnell, dass sie zum Denken, Vorstellen und Weiterphantasieren keine Energie
mehr übrig hat. Sie läuft. Belebend und
erschöpfend. Während ihres Laufs manövriert sie sich körperlich in den Augenblick,
der einfach IST und ihr das Schnappen eines Gedankens oder einer Vorstellung
Gottseidank gar nicht mehr erlaubt. Das tut gut.
Als sie sich für den Moment erschöpft aber glücklich auf
einer Parkbank niederlässt ist der Gedanke an die Grete ermordende Riesenfliege
bereits so weit weg, dass sie ihn nur mit Mühe wieder zu sich ziehen und weiter
ausmalen könnte. „Fein!“ sagt sie zu sich selbst und betrachtet sich ihre
Umgebung.
Herbstblätter, trockene und feuchte. Zwitschernde Vögel. Zarte Sonnenstrahlen, die sich den Weg durch
Wolken und Zweige zu ihr bahnen und ihr Gesicht berühren. Automatisch schließen
sich Lieschens Augen und auch die allerletzten Restchen ihrer neuen und eben noch aktiven
Fliegenparanoia schmelzen im inneren Schein dieser Strahlen, die sie im
Innersten zu treffen scheinen.
Den Weg nach Hause legt sie sehr langsam zurück. Automatisch
beachtet sie jeden einzelnen Schritt in ihren Füßen und dessen Folgebewegungen
in ihrem Körper. Erst als sie ihre Aufmerksamkeit beim bedächtigen Gehen auf
ihre Fußsohlen lenkt, die Verbindung mit der Erde bewusst wahrnimmt schaffen es
wieder mehr der weniger neurotische Gedanken in ihre Nähe. Hätte sie sich nicht augenblicklich von ihnen
abgewendet, wäre ein weiterer Lauf zur Klärung und Reinigung notwendig geworden.
Die Gedanken erinnerten sie nämlich an die vielen kleinen Lebewesen, die sich zwischen
ihren Fußsohlen und dem Boden befinden und die sie von unten … und zu Recht von
ihr zertreten … .
Naja. Glücklicherweise hat sie sich dem Startgedanken dieses
Zyklus erst gar nicht zugewendet, hat darüber bei der Grete auch nichts
gelesen, musste also nichts googeln, trat also in die Fantasieschleife erst gar
nicht ein, ersparte sich Kopfschütteln und Ganzkörpereinsatz und entsorgt jetzt klugerweise auch die wenigen letzten Thriller, die sich noch in ihrem Bücherschränkchen
befanden.
Grete und Lieschen als kostenloses E-Book - die ersten 50 Kapitel:
Lieschen hat Fantasie, aber das habe ich immer gewusst ohne diese, könnte sie nicht diese herrlichen Beiträge schreiben, selbst wenn die liebe Grete das Thema vorgibt. Ich könnte so einiges dazu beitragen und habe mir dank meiner Vorstellungskraft so manches Essen versaut....
AntwortenLöschenIch mag Fliegen nicht, aber ich fange sie gekonnt mit rechts oder links und entlasse sie der Freiheit. Das einzig schön an der kalten Jahreszeit ist die Tatsache, dass es keine Fliegen gibt.
Mit einem wundervollen Gruß Geli