Dem Lieschen schwirrt ja heute noch ein bisschen der Kopf.
So viele Menschen und Geschichten haben sich gestern beim Kaffeetrinken mit der
Grete auf dem Caféhaustisch und in ihrem Kopf eingefunden, dass sie ihre liebe
Müh und Not hat, heute irgendwie in die Strümpfe zu kommen. Die meisten sind schon
wieder gegangen, aber einige halten sich hartnäckig. „So ist das mit der
Vergangenheit und den Angelegenheiten anderer. Sie binden halt Energie. Da
musste dich gar nicht wundern.“ Manchmal spricht sie so mit sich selbst. Das
tut ihr gut, denn dann lacht sie - auch mit sich selbst und über sich. Das
befreit. Auch ihren Kopf von all den Gedanken, die sie sich manchmal macht, wenn irgendwelche Informationen zu ihr gelangen. Z.B. Gedanken an den
Tag, an dem Willi Millowitsch gestorben ist und sie in der Ferne geweint hat.
Das hatte sie vergessen. Aber als die Grete den Namen erwähnte, sang sie
automatisch „ich bin ene kölsche Jung, watt willste maaachen …“ und noch andere
Lieder. Genauso wie am Todestag des Kölner Originals mit dem die Liese
aufgewachsen ist. Also nicht persönlich, sondern nur in der Nähe. Also im
Rheinland. Da gehörte er hin und da gehörte sie hin und auch die Grete. Und als
er starb war sie schon lange nicht mehr dort und hat mit seinem Tod ihre
damalige Abwesenheit von der Heimat und vielleicht auch deren möglicherweise kompletten
Verlust beweint. Das hatte sie vergessen. Und wird sie auch bald wieder
vergessen. Das hofft sie. Denn sowohl ihre rheinländische Geburt ist
Vergangenheit als auch der tränenreiche Tag in einer anderen Stadt. Sind doch
die Gedanken daran getränkt mit Gefühlen, die für ihr Heute keine Bedeutung
haben. Oder vielleicht doch? „Nein!“ sagt das Lieschen mit Bestimmtheit, schenkt
der Melancholie noch ein wenig Gastfreundschaft, ignoriert den Gedanken an Frau
Merkels Smartphone, vermeidet es, noch einmal über Lügen und Politiker, die
ihre Bürger für doof halten, zu philosophieren und wendet sich noch einmal kurz
dem letzten Thema des gestrigen Kaffeetrinkens zu.
Die Grete hatte nämlich von ihrer Angst vor
Tarotkarten erzählt. Das hatte die Liese sehr erstaunt. Sie selbst findet
ja, dass solche Karten ein prima Hilfsmittel sind, um sich über die eigene
aktuelle Situation klarer zu werden und möglicherweise Sachverhalte zu
entdecken, die auf den ersten oberflächlichen Blick unsichtbar sind. Sie fahndet
schon seit unzähligen Jahren immer mal wieder - auch - mithilfe solcher Karten nach „verborgenen
Informationen“ über sich selbst. „Immer nur für mich selbst, Grete“ hat sie
gestern ein paar Mal gesagt. „Und immer nur für die aktuelle Situation“ hat sie
hinzugefügt.
In die Zukunft gucken wäre der Liese auch unheimlich. Die entsteht
ja erst. Und darüber möchte sie auch
nichts wissen. Denn wenn sie wüsste, dass z.B. ein bestimmtes Problem auf sie
zukommt, würde sie sich ja heute schon verrückt machen. Obwohl sie gar nicht
wüsste, in welcher Situation sie dann wäre, welche Möglichkeiten sie dann hätte
und so weiter. Das macht in Lieschens Augen keinen Sinn. Das würde ihre Energie
ja genauso binden wie das Nachdenken über Vergangenes. Das gewöhnt sie sich ja auch Schritt für Schritt ab. All das ist ja nicht jetzt.
„Das Leben, Grete, das Leben ist aber NUR jetzt!“ hat sie immer wieder gesagt
und die Grete hat unzählige Argumente angeführt, warum die Vergangenheit mit ihren Ereignissen
so wichtig ist und warum die Zukunft doch geplant und wenn möglich durchschaut werden sollte.
Da war sie aber bei dem Lieschen an der falschen Adresse.
Die Liese meint ja,
es sei das Beste, sich um den Moment zu kümmern. Und darum bemüht sie sich. Für
den Moment und das Ausloten, was jetzt ist, nimmt sie sich eine Menge Zeit. Als
sie das gestern zur Grete sagte, hat die sich kaputt gelacht. „Für den Moment
viel Zeit nehmen … hahaha“. Und das Lieschen ist ins Lachen eingefallen. Das
gefällt ihr. Die Worte, die sie benutzt genau nehmen, gehört nämlich dazu. Zu
der Aufmerksamkeit, die sie dem Leben schenken möchte und auch oft schenkt. Als
das Lachen abebbte, lehnte sich das Lieschen zurück und sagte „siehste Grete, so
verrückt ist das nämlich. Da entsteht das Leben in jedem Moment neu und ich
quatsche hier von Zeit.“ Die Liese hat dann noch hinzugefügt, dass sie, wenn
sie jetzt alleine wäre und ihr dieser lustige Satz aus ihrem Munde oder in
ihrem Kopf aufgefallen wäre, vielleicht die Tarotkarten nehmen würde, um
herauszufinden, was eine persönliche tiefere Ursache für diese Verkettung
wäre. „Vielleicht, Grete“ hat sie gesagt „vielleicht!“ Denn eigentlich sind ihr
mittlerweile auch sogenannte Ursachen egal. „Ist ja wurscht wie es dazu kam.
Ist ja vorbei. Und schon allein das bewusste Bemerken hilft vermutlich.“ Hat sie gestern zur Grete gesagt und meint es natürlich
auch heute noch. Grete hat den Kopf geschüttelt, noch ein bisschen die Vergangenheit
verteidigt und hat dann in Lieschens entspanntes Lachen eingestimmt. „Ist
wieder ein schöner Mittwoch“ hat sie gesagt und die Liese hat ihr zugestimmt. Wie immer. Oder anders gesehen. Völlig neu. Zum allerersten Mal.
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Liebe Brigitta,
AntwortenLöschendas ist schwere Kost für die Nacht. Deine Gedanken über das Jetzt und Hier, über die Vergangenheit und über die Zukunft.
Das Leben findet heute statt. Das sollten wir uns immer vor Augen
halten. Die Vergangenheit ist gelebt - sie kommt nicht zurück - wir können nichts mehr ändern.
Aber ganz können wir uns auch vor Erinnerungen nicht schützen. Siehe Millowitsch. Aber man darf nicht nur von Erinnerungen leben.
Das führt zu nichts und läßt uns in unserem täglichen Leben erstarren.
Meine Tarotkarten habe ich ganz aus meinem Leben verbannt. Wir können das Schicksal nicht beeinflussen. Es kommt von ganz allein.
Ich wünsche dir eine gute Nacht
Irmi
Hallo Brigitta,
AntwortenLöschenich zu einem ähnlichen Thema in meinem Blog einmal Aristoteles ausgekramt Er definiert die Zeit als einzelne Augenblicke und als Zeit als solcher. Die Augenblicke stehen für sich, erst die Zeit verbindet sie zu einer Linie, die uns, wann immer wir an sie denken, an ihr Ende erinnert ... Habe ich einfach aus meinem Post heraus kopiert. Passt vielleicht auch zu diesem Post. Manchmal versuche, ich solche schwergewichtigen Zitate unterzubringen.
Gruß Dieter
„siehste Grete, so verrückt ist das nämlich. Da entsteht das Leben in jedem Moment neu und ich quatsche hier von Zeit.“
AntwortenLöschen:-) wundervoll! sagt der Dingefinder und Zeithaber Jörg
Nun habe ich extra zurück geblättert. Gestern Abend war ich aus und da verpasst man gleich einiges. Manchmal kann man sich ruhig die Karten legen. Jeder hat seine eigenen Methoden. Ist die Zukunft vorbestimmt? Ich lebe auch im Heute und Jetzt. Alles langsam auf sich zukommen lassen. Schönes WE - Geli
AntwortenLöschenwo nimmst du nur die Fantasie her ... die Geschichten sind echt klasse!
AntwortenLöschenich habe wieder gerne hier gelesen :-)
Lieber Wochenendgruß von Heidi-Trollspecht
Manchmal wird´s hier richtig philosophisch...
AntwortenLöschen;)
Liebe Grüße
Christiane