„Ach ja“, denkt das Lieschen lächelnd nachdem es den Bericht
von Gretes Autokauf gelesen hat, „so ist die Grete. Beim Kauf eines Lippenstifts
und eines Nagellacks verbringt sie Stunden im Internet und zur Ansicht auch in den einschlägigen
Geschäften. Um auszuschließen, dass sie sich aus Versehen für eine falsche
Farbe oder Qualität entscheidet, guckt sie sich die Augen rund, läuft sich die
Füße wund und ist selten so zufrieden mit ihrer Wahl, dass sie die Prozedur
nicht eine Woche später wiederholt, weil sie feststellt, dass die gekauften
lebenswichtigen Utensilien doch nicht zu allen Blusen passen, die sie bereits
besitzt oder gerade bestellt hat. Und ein Auto kauft sie im Handumdrehen.
Einfach so! Da kennt sie nix. 3 Kriterien, der beste Preis und zackzack ist der
Deal gemacht."
Das Lieschen ist voll Bewunderung. Und ein bisschen in
Sorge. „Metallic? Ach du meine Güte!“ Sie liest noch einmal nach. „Ja!
Metallic. Und nagelneu!“ Jetzt passiert das, was das Lieschen doch seit langem
versucht, sich abzugewöhnen. Sie erinnert sich automatisch an ein Erlebnis aus
ihrer Vergangenheit und projiziert ihre Probleme von damals auf Grete und deren
mögliche Zukunft mit deren Auto.
Lieschen hatte nämlich auch schon einmal ein
metallicfarbenes Auto. Und genau dieses Auto war nagelneu als es gekauft wurde.
Das ist sehr sehr lange her. Aber durch Gretes Autokauf kommt es ihr vor, als
sei es gestern gewesen. Oder heute. So frisch erscheinen ihr die Bilder und
Gefühle von damals. Lieschen hatte dieses Auto von ihrer Oma geschenkt
bekommen. Von der Großmutter, die selbst alle Geschenke zurück gab und vorgab nichts,
aber auch gar nichts zu brauchen. Diese Frau hatte lange beobachtet, dass das
Lieschen uralte Autos fuhr, deren Name nur aus einem Buchstaben und einer Zahl
bestanden. Bunt waren die alle und klapprig und nicht sehr haltbar. Die Oma hat
sich also damals, als sie hörte, dass Lieschens letztes Auto nun auch auf dem
Autofriedhof gelandet war, mit ihrem Sohn beraten, in ihr Erspartes gegriffen
und die Liese vor vollendete Tatsachen gestellt. Also vor fast vollendete
Tatsachen. Als alles beschlossen war griff sie zum Telefon und informierte das
Lieschen über ihre Beschlüsse. „Ich kauf dir ein neues Auto. Dein Vater hat es
schon ausgesucht und angezahlt. Du bekommst es nächste Woche. Dein Anteil ist
lediglich 500 Mark.“
Der Anruf kam eines Samstagsmorgens um 7 Uhr. Die Liese
war noch nicht so wach, dass sie widersprechen konnte und sagte vermutlich
irgendetwas wie „Oh. Danke. Toll. Ein Auto!“ Als sie dann nach und nach
aufwachte, hätte sie es am liebsten wie die Oma selbst gemacht und das dubiose
Geschenk abgelehnt. Denn, hätte sie 500 Mark besessen, hätte sie sich bereits
eins dieser geliebten alten Gefährte gekauft, die sie so schön mit Farbe und
Pinsel bearbeiten konnte und die ihr stets das Gefühl von Freiheit und
Abenteuer vermittelten.
Zu spät. Als sie am späteren Vormittag kleinlaut ihre
Bedenken äußerte und probeweise ein sehr leises Nein ins Telefon hauchte, wurde
das mit einem Vortrag über Undankbarkeit und Unvernunft beiseite gewischt und
ein paar Tage später stand dieses BLAU!METALLIC!-farbene Auto vor ihrer Tür. „Das
wirst du doch wohl jetzt Vollkasko versichern und vergiss‘ nicht die regelmäßigen Inspektionen! Wir
hoffen, du zeigst dich dieses Geschenkes würdig. Dieses bisschen Verantwortung
können wir ja bei dieser Großzügigkeit wohl verlangen!“
Damals nickte das Lieschen und allein während
der Erinnerung daran, krümmt sich Lieses Körper vor Unbehagen.
Es kam dann wie es kommen musste. Sie wurde niemals richtig
warm mit dem Ding, dass die Grete Autochen nennen würde und nach wenigen Wochen
bereits war ein Passant so freundlich, dem Lieschen eine weitere schöne Herausforderung
zu schenken, indem er (oder sie) vermutlich mit einem Schlüssel die gesamte
Fahrerseite in waagerechter Strichform bearbeitete.
„Das wirst du doch wohl
reparieren lassen!“ hieß es aus Schenkermündern und das Lieschen, das eh schon
im Besitz eines Kredites wegen der Zuzahlung und der Vollkaskoversicherung war,
erfuhr, was es kostet, Metallicfarben! zu lackieren und erhöhte den Kredit für
etwas, das sie bis dato einfach ein kleines Töpfchen Farbe und einen Pinsel
gekostet hätte. Wenn überhaupt.
Die Erlösung aus der Lieschenknebelsituation brachte dann
ein Unfall, den die Liese zu verantworten hatte, die Versicherung aber wegen dieser
Vollkaskosache zahlen würde. Dann endlich stand der Liese das große NEIN zu
diesem blauen Etwas – blau ist die einzige Farbe, die sie nicht leiden kann –
nicht nur im Gesicht geschrieben, sondern es nahm sie ganz und gar ein und
brach aus ihr heraus.
Sie verkaufte das komplett kaputte Auto samt
Versicherungsansprüchen an einen Freund, der sich freute, kaufte sich für einen
Bruchteil des Erlöses eins dieser Autos, die sie so liebte, löste den Kredit ab und
enttäuschte ihre Familie.
Heute weiß sie, dass Recht hat, wer sagt „ist der Ruf erst
ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“ und hofft inständig, dass Gretes Auto
niemals einem Passanten mit Schlüssel begegnet und sie das Geld für eine
Vollkaskoversicherung hat. Die braucht man nämlich bei einem nagelneuen Metallicauto. DAS weiß das Lieschen ja schließlich aus
Erfahrung.
Grete und Lieschen als kostenloses E-Book - die ersten 50 Kapitel:
Liebe Brigitta,
AntwortenLöschendas war wirklich der Knüller: Ein Schnell-Auto-Kauf am Telefon.
Von Metallic kann ich auch ein Liedchen singen. Einmal und nie
wieder. Aber, am Telefon kaufe ich nix, nicht einmal ein Spielauto.
Sag mal, hat man dir eigentlich noch einmal eine Schenkung gemacht?
Ein schönes Wochenende wünscht dir
Irmi
Ja liebe Brigiita, ein Autokauf per telefon und das ruck zuck, der Oberhammer. Ich habs meinem Mann erzählt, der benötigt immer unendlich bis er das richtige gefunden hat.
AntwortenLöschenHoffe das der Grete alles unangenehme mit dem Auto erspart bleibt und es nur Freude bringt.
Liebe Wochenendgrüße
Angelika
Manchmal stimmt die Chemie nicht bei Menschen und Autos oder auch Couchgarnituren. Wenn man etwas aufgezwungen bekommt und dafür ewig dankbar sein soll, ist es besonders schwierig. Auch hier sieht man die Unterschiede, Grete ist schnell entschlossen, macht auch Kompromisse und das Lieschen träumt von ganz anderen Dingen. Herrlich ist das und ich mag sie beide gern. LG Geli
AntwortenLöschenHallo Brigitta,
AntwortenLöschenich muss zugeben, dass Ihr beiden tolle Geschichten-Erzähler seid. Ich kann einiges von Euch lernen. Geschichten kommen bei mir auch vor, aber ich stelle fest, dass mich Sachtexte mit all den Recherchen drum herum (fast) mehr interessieren. Deine Situation hatte ich glücklicherweise nie: ich konnte mir stets mein (oder unser) Auto selbst finanzieren. Schlimm, welche Geschmacks-Erinnerungen dies verursachen kann.
Gruß Dieter
Zunächst bin ich erstaunt über Lieschens Offenbarung, was Gretes Kaufverhalten bei Lippenstiften angeht. Ist sie da etwa Susi-beeinflusst?
AntwortenLöschenEgal, der spontane, nahezu blinde Autokauf hat bei mir auch fast Bewunderung ausgelöst.
Allerdings bin ich bei Lieschens folgender Schilderung ganz nah bei ihr. Dieses Autogeschenk wäre mir mehr als suspekt gewesen. Man begibt sich in Abhängigkeiten, ob man will oder nicht. Und das ist ja nun gar nicht Lieschens Sache. Konnte ja nicht gutgehen.
Mein erstes Auto war ein Opel-Kadett, den ich für 100 DM bekommen habe. Wir kamen prima miteinander aus, bis ich ihn leider Purzelbaum schlagen ließ.
Alle folgenden Autos waren praktischer, komfortabler, was weiß ich noch alles...
Aber zu meinem ersten hatte ich eine richtige Beziehung.
Ich finde es nur gut und konsequent, dass Lieschen sich getrennt hat von der blauen Metallic-Schüssel.
Allerdings sollte sie ihre Erfahrungen nicht auf Grete projizieren.
Andere Zeit, anderer Mensch, anderes Auto...
Und Grete ist ja durch den Kauf nicht in solcher Abhängigkeit wie das Lieschen damals.
Es wird gutgehen!!!
Wieder ein interessanter Bericht aus Lieschens Leben, das doch so einige Höhen, Tiefen und Stolpersteine hatte.
Liebe Abendgrüße
Enya