Samstag, 26. Oktober 2013

Lieschen und der geschenkte Gaul - in Blaumetallic

Lieschens Antwort auf Fräulein Grete Meiers Post Nr. 79  ---> guckst du hier 

„Ach ja“, denkt das Lieschen lächelnd nachdem es den Bericht von Gretes Autokauf gelesen hat, „so ist die Grete. Beim Kauf eines Lippenstifts und eines Nagellacks verbringt sie Stunden im Internet und  zur Ansicht auch in den einschlägigen Geschäften. Um auszuschließen, dass sie sich aus Versehen für eine falsche Farbe oder Qualität entscheidet, guckt sie sich die Augen rund, läuft sich die Füße wund und ist selten so zufrieden mit ihrer Wahl, dass sie die Prozedur nicht eine Woche später wiederholt, weil sie feststellt, dass die gekauften lebenswichtigen Utensilien doch nicht zu allen Blusen passen, die sie bereits besitzt oder gerade bestellt hat. Und ein Auto kauft sie im Handumdrehen. Einfach so! Da kennt sie nix. 3 Kriterien, der beste Preis und zackzack ist der Deal gemacht."

Das Lieschen ist voll Bewunderung. Und ein bisschen in Sorge. „Metallic? Ach du meine Güte!“ Sie liest noch einmal nach. „Ja! Metallic. Und nagelneu!“ Jetzt passiert das, was das Lieschen doch seit langem versucht, sich abzugewöhnen. Sie erinnert sich automatisch an ein Erlebnis aus ihrer Vergangenheit und projiziert ihre Probleme von damals auf Grete und deren mögliche Zukunft mit deren Auto.

Lieschen hatte nämlich auch schon einmal ein metallicfarbenes Auto. Und genau dieses Auto war nagelneu als es gekauft wurde. Das ist sehr sehr lange her. Aber durch Gretes Autokauf kommt es ihr vor, als sei es gestern gewesen. Oder heute. So frisch erscheinen ihr die Bilder und Gefühle von damals. Lieschen hatte dieses Auto von ihrer Oma geschenkt bekommen. Von der Großmutter, die selbst alle Geschenke zurück gab und vorgab nichts, aber auch gar nichts zu brauchen. Diese Frau hatte lange beobachtet, dass das Lieschen uralte Autos fuhr, deren Name nur aus einem Buchstaben und einer Zahl bestanden. Bunt waren die alle und klapprig und nicht sehr haltbar. Die Oma hat sich also damals, als sie hörte, dass Lieschens letztes Auto nun auch auf dem Autofriedhof gelandet war, mit ihrem Sohn beraten, in ihr Erspartes gegriffen und die Liese vor vollendete Tatsachen gestellt. Also vor fast vollendete Tatsachen. Als alles beschlossen war griff sie zum Telefon und informierte das Lieschen über ihre Beschlüsse. „Ich kauf dir ein neues Auto. Dein Vater hat es schon ausgesucht und angezahlt. Du bekommst es nächste Woche. Dein Anteil ist lediglich 500 Mark.“ 
Der Anruf kam eines Samstagsmorgens um 7 Uhr. Die Liese war noch nicht so wach, dass sie widersprechen konnte und sagte vermutlich irgendetwas wie „Oh. Danke. Toll. Ein Auto!“ Als sie dann nach und nach aufwachte, hätte sie es am liebsten wie die Oma selbst gemacht und das dubiose Geschenk abgelehnt. Denn, hätte sie 500 Mark besessen, hätte sie sich bereits eins dieser geliebten alten Gefährte gekauft, die sie so schön mit Farbe und Pinsel bearbeiten konnte und die ihr stets das Gefühl von Freiheit und Abenteuer vermittelten. 
Zu spät. Als sie am späteren Vormittag kleinlaut ihre Bedenken äußerte und probeweise ein sehr leises Nein ins Telefon hauchte, wurde das mit einem Vortrag über Undankbarkeit und Unvernunft beiseite gewischt und ein paar Tage später stand dieses BLAU!METALLIC!-farbene Auto vor ihrer Tür. „Das wirst du doch wohl jetzt Vollkasko versichern und vergiss‘  nicht die regelmäßigen Inspektionen! Wir hoffen, du zeigst dich dieses Geschenkes würdig. Dieses bisschen Verantwortung können wir ja bei dieser Großzügigkeit wohl verlangen!“  
Damals nickte das Lieschen und allein während der Erinnerung daran, krümmt sich Lieses Körper vor Unbehagen.

Es kam dann wie es kommen musste. Sie wurde niemals richtig warm mit dem Ding, dass die Grete Autochen nennen würde und nach wenigen Wochen bereits war ein Passant so freundlich, dem Lieschen eine weitere schöne Herausforderung zu schenken, indem er (oder sie) vermutlich mit einem Schlüssel die gesamte Fahrerseite in waagerechter Strichform bearbeitete. 
„Das wirst du doch wohl reparieren lassen!“ hieß es aus Schenkermündern und das Lieschen, das eh schon im Besitz eines Kredites wegen der Zuzahlung und der Vollkaskoversicherung war, erfuhr, was es kostet, Metallicfarben! zu lackieren und erhöhte den Kredit für etwas, das sie bis dato einfach ein kleines Töpfchen Farbe und einen Pinsel gekostet hätte. Wenn überhaupt.

Die Erlösung aus der Lieschenknebelsituation brachte dann ein Unfall, den die Liese zu verantworten hatte, die Versicherung aber wegen dieser Vollkaskosache zahlen würde. Dann endlich stand der Liese das große NEIN zu diesem blauen Etwas – blau ist die einzige Farbe, die sie nicht leiden kann – nicht nur im Gesicht geschrieben, sondern es nahm sie ganz und gar ein und brach aus ihr heraus.
Sie verkaufte das komplett kaputte Auto samt Versicherungsansprüchen an einen Freund, der sich freute, kaufte sich für einen Bruchteil des Erlöses eins dieser Autos, die sie so liebte, löste den Kredit ab und enttäuschte ihre Familie.  


Heute weiß sie, dass Recht hat, wer sagt „ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“ und hofft inständig, dass Gretes Auto niemals einem Passanten mit Schlüssel begegnet und sie das Geld für eine Vollkaskoversicherung hat. Die braucht man nämlich bei einem nagelneuen Metallicauto. DAS weiß das Lieschen ja schließlich aus Erfahrung.




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5 Kommentare:

  1. Liebe Brigitta,
    das war wirklich der Knüller: Ein Schnell-Auto-Kauf am Telefon.
    Von Metallic kann ich auch ein Liedchen singen. Einmal und nie
    wieder. Aber, am Telefon kaufe ich nix, nicht einmal ein Spielauto.
    Sag mal, hat man dir eigentlich noch einmal eine Schenkung gemacht?
    Ein schönes Wochenende wünscht dir
    Irmi

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  2. Ja liebe Brigiita, ein Autokauf per telefon und das ruck zuck, der Oberhammer. Ich habs meinem Mann erzählt, der benötigt immer unendlich bis er das richtige gefunden hat.

    Hoffe das der Grete alles unangenehme mit dem Auto erspart bleibt und es nur Freude bringt.

    Liebe Wochenendgrüße
    Angelika

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  3. Manchmal stimmt die Chemie nicht bei Menschen und Autos oder auch Couchgarnituren. Wenn man etwas aufgezwungen bekommt und dafür ewig dankbar sein soll, ist es besonders schwierig. Auch hier sieht man die Unterschiede, Grete ist schnell entschlossen, macht auch Kompromisse und das Lieschen träumt von ganz anderen Dingen. Herrlich ist das und ich mag sie beide gern. LG Geli

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  4. Hallo Brigitta,
    ich muss zugeben, dass Ihr beiden tolle Geschichten-Erzähler seid. Ich kann einiges von Euch lernen. Geschichten kommen bei mir auch vor, aber ich stelle fest, dass mich Sachtexte mit all den Recherchen drum herum (fast) mehr interessieren. Deine Situation hatte ich glücklicherweise nie: ich konnte mir stets mein (oder unser) Auto selbst finanzieren. Schlimm, welche Geschmacks-Erinnerungen dies verursachen kann.

    Gruß Dieter

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  5. Zunächst bin ich erstaunt über Lieschens Offenbarung, was Gretes Kaufverhalten bei Lippenstiften angeht. Ist sie da etwa Susi-beeinflusst?
    Egal, der spontane, nahezu blinde Autokauf hat bei mir auch fast Bewunderung ausgelöst.

    Allerdings bin ich bei Lieschens folgender Schilderung ganz nah bei ihr. Dieses Autogeschenk wäre mir mehr als suspekt gewesen. Man begibt sich in Abhängigkeiten, ob man will oder nicht. Und das ist ja nun gar nicht Lieschens Sache. Konnte ja nicht gutgehen.
    Mein erstes Auto war ein Opel-Kadett, den ich für 100 DM bekommen habe. Wir kamen prima miteinander aus, bis ich ihn leider Purzelbaum schlagen ließ.
    Alle folgenden Autos waren praktischer, komfortabler, was weiß ich noch alles...
    Aber zu meinem ersten hatte ich eine richtige Beziehung.

    Ich finde es nur gut und konsequent, dass Lieschen sich getrennt hat von der blauen Metallic-Schüssel.
    Allerdings sollte sie ihre Erfahrungen nicht auf Grete projizieren.
    Andere Zeit, anderer Mensch, anderes Auto...
    Und Grete ist ja durch den Kauf nicht in solcher Abhängigkeit wie das Lieschen damals.
    Es wird gutgehen!!!

    Wieder ein interessanter Bericht aus Lieschens Leben, das doch so einige Höhen, Tiefen und Stolpersteine hatte.

    Liebe Abendgrüße
    Enya

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Herzlichen Dank für Euer Interesse und die den Blog so sehr bereichernden Kommentare!
Beides ist sowohl der Liese als auch mir eine große Freude! :-)))