Ach, was ist das Lieschen erfreut. Sie jubiliert. Nicht nur
innerlich. Nein. Sofort nachdem sie von Gretes gewonnenen Kampf gelesen hat,
ist sie zum Hermann gelaufen und hat gerufen: „Siehste! Es geht nämlich ohne
Lügen!“ Der wusste natürlich wie immer nicht, worum es in dieser
zusammenhanglosen Mitteilung ging, antwortete aber trotzdem „Ja. Klar!“
Hätte
er irgendetwas gefragt, hätte das Lieschen ihm vielleicht von Grete und all den
verworfenen Notlügen erzählt und möglicherweise noch hinzugefügt, dass sie sehr
froh ist, dass die Grete so gut für sich
gesorgt hat. Und mit der passenden Frage hätte sie womöglich sogar noch andere
Details aus Gretes Bericht preisgegeben. Aber eigentlich ging es ja gar nicht
darum, dass Hermann das alles erfuhr. Das Lieschen brauchte nur jemanden, dem
sie ihre Freude zeigen konnte. Also lachte sie und jubilierte noch ein bisschen
ohne spezielle Worte. Hermann lachte auch. Denn er freute sich über die gute
Laune von seinem Lieschen und danach wahrscheinlich auch darüber, dass sie den
Raum, in dem sie ihn überrascht hatte, auch wieder verließ. Hermann liebt
nämlich seine Ruhe genauso wie die Gesellschaft von anderen.
„Vielleicht“ denkt die Liese als sie zurück in ihrem Zimmer
ist, „vielleicht ist Gretes Absage zum Samstag für das Kindergartenfest gar
kein Drama. Vielleicht ist die freigewordene Reibekuchenherstellungsstelle DIE
Chance für jemand anderen, der das supergerne machen möchte. Vielleicht erkennt
die Kindergartenleiterin ja ihren eigenen Fehler in der Geschichte und lernt,
dass sie sich beim nächsten Mal klarer verhalten muss …“ Das Lieschen könnte
noch ganz viele VIELLEICHTs anschließen. Sie liebt Möglichkeiten und hat schon
oft die Erfahrung gemacht, dass die Folgen einer für sie schwierigen
Entscheidung wunderbar waren. Viel wunderbarer als sie es sich selbst je
vorstellen konnte. Nicht nur für sie selbst. Sondern oft auch für die anderen,
die sie eigentlich mit einem erst einmal nicht ausgesprochenen Nein schützen
wollte.
Sie ist so froh, dass die Grete den Samstag nun frei hat.
Und das nicht nur, weil sie jetzt den gemeinsamen Ausflug machen können, der
die Jungfernfahrt des neuen Autos sein soll. Nein. Das hätten sie sicher auch
an einem anderen Tag machen können. In einem bereits entjungferten Auto lässt
es sich ja auch noch wunderbar fahren.
Nein. Sie ist ganz besonders froh, dass
die Grete die Absage geradeheraus gesagt hat. Und dass sie auf die Lügen, die
ja gewöhnlich Notlügen genannt werden verzichten konnte und keine einzige
benutzt hat.
Gegen Lügen ist das Lieschen nämlich allergisch. Damit kommt
sie gar nicht zurecht. Und was Notlügen sind, kann sie einfach nicht verstehen.
Noch niemals hat sie eine Not gesehen, die durch irgendeine Lüge aus der Welt
geschaffen wurde und noch niemals hat sie jemanden tatsächlich in einer Not
gesehen, die eine Lüge wirklich verlangt hätte.
Das Lieschen träumt im Grunde von einer Welt, in der alle
Menschen weder sich selbst noch andere belügen. Sie träumt von einer Welt voller aufrechter
Menschen, die hocherhobenen Hauptes für sich und ihre Überzeugungen eintreten. Aber
sie hat am eigenen Leib, im Laufe ihres nun mehr gar nicht so kurzen Lebens, gelernt, dass die Welt so nicht ist. Und sie hat gelernt, dass sich Lügen bei
allem Bemühen um Ehrlichkeit manchmal nicht verhindern lassen. Lieschen hat
sich schon oft selbst belogen und in der Folge Dinge zu anderen gesagt, die
sich nachträglich selbstverständlich auch als Lügen entpuppten.
Wie oft hat
sie „macht nix“ gesagt, wenn es doch was machte? Wie oft hat sie in ihrer Zeit
als verkaufende Geschäftsfrau gesagt „das steht Ihnen wunderbar“ auch wenn das
haarscharf an der Wahrheit vorbei war, weil sie verkaufen wollte oder glaubte
verkaufen zu müssen. Wie oft hat sie schon gesagt „ja, mache ich gerne“ obwohl
sie keine Lust dazu hatte, nur weil sie ihr Gegenüber nicht durch ein Nein verletzen wollte? Und so weiter.
Aber das Lieschen bemüht sich. Das möchte sie hier doch noch betonen. Ganz ähnlich wie die Grete
heute, bemüht sie sich, für das Entstehen ihrer gewünschten lügenlosen Welt weiterhin
so gut sie kann, vor der eigenen Tür zu kehren.
Und natürlich wird sie sich
weiterhin so doll freuen wie heute, wenn sie ein Bericht über das aufrechte
Verwerfen von vermeintlich leichten notwendigen Lügen erreicht.
Grete und Lieschen als kostenloses E-Book - die ersten 50 Kapitel:
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AntwortenLöschenals ich "macht nix" gelesen habe bin ich innerlich leicht zusammengezuckt .... kam mir so bekannt vor ;-)
AntwortenLöschenes macht großen Spaß hier zu lesen!
herzliche Grüße von Heidi-Trollspecht
Brigitta,
AntwortenLöschenich habe mich auch gefreut, dass Grete den Mut aufgebracht hat. Du hast es mit den Lügen und Notlügen auf den Punkt gebracht. Man muss oftmals keine Notlüge anwenden. Man macht es, weil es leichter ist. Und der Mensch geht oftmals den Weg des geringsten Widerstandes. Und das ist die Notlüge.
Mir sind Lügen auch zuwider.Und oftmals verletzen sie sehr.
Einen schönen Abend wünscht dir
Irmi
Es lebe die Wahrheit! Und wenn man die nicht sagen kann, kann man ja immer noch den Mund halten...
AntwortenLöschen;)
Liebe Grüße
Christiane
Hallo Brigitta,
AntwortenLöschenich muss zugeben, dass ich mitunter zu Notlügen neige. Oder in diesem Fall, dass ich es doch für den Kindergarten gemacht hätte. Gretes Verhaltensweise war auf jeden Fall richtig. Ich hätte ähnlich herum gedruckst wie Grete.
Gruß Dieter
Guten Morgen liebes Lieschen,
AntwortenLöschenda bin ich mit dir einer Meinung, was die Lügen betrifft. Das ist auch nicht so mein Ding. Tja, und dann kam in an den unteren Teil deiner Ausführungen und *schluck*, dieses „Macht nix“ und „mach ich gern“ (meine Variante: Kein Problem) das kam mir nur zu bekannt vor. Und weißt du was, es war mir gar nicht so bewusst, dass es sich dabei ebenfalls um eine Lüge handelt, die sich da unter dem Mantel des Ich-möchte-doch-nur-nett-und-freundlich-sein verbirgt. Aber du hast vollkommen Recht. Da muss ich noch an mir arbeiten!
Einen schönen Tag wünscht dir
Uschi
Toll,wie Lieschen denkt...Da ist Gretes Absage kei Drama, sondern vielleicht eine Chance...
AntwortenLöschenDas nenn ich aber mal positives Denken! Hut ab.
Ich bin auch froh, dass Grete Stellung bezogen und keine Notlüge gebraucht hat. Das machen wir viel zu wenig und zu viel...das Stellung beziehen mit einem klaren Nein und in der Not lügen.
Und das sich selbst Belügen, die Selbsttäuschung - ich glaube, das ist etwas, was wir irgendwie verinnerlicht haben.
Vielleicht,weil es so schwer ist, sich ehrlich selbst zu begegnen, denn dazu gehört, dass man sich selbst annimmt mit seinen Vorzügen und Schwächen und sich verzeihen kann. Wenn das gelingt....ansatzweise...dann wird auch die Selbsttäuschung weniger.
Mit den Notlügen anderen gegenüber ist es nicht so einfach. Oft passiert das ja,weil man nicht verletzen möchte.
Im Grunde ist es aber für andere hilfreicher, wenn man da wahrhaftig ist, auch wenn es zunächst schmerzhaft sein mag.
Gut, dass Lieschen sich bemüht, das ist doch ein Riesenschritt.
Und die Freude über das Verwerfen einer Notlüge, die steckt an.
Dies möge sich Lieschen erhalten.
Lieben Gruß
Enya